nationale Gesetzgebung

Das Soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV)

Am 01.01.2024 trat das Soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV) in Kraft, welches 2019 beschlossen wurde und somit das bisherige Opferentschädigungsgesetz (OEG), sowie Bundesversorgungsgesetz (BVG) ablöst. Für Bestandsfälle besteht jedoch die Möglichkeit des Wahlrechts innerhalb eines Jahres, um über den Verbleib im OEG/ BVG oder den Wechsel in das neue soziale Entschädigungsrecht entscheiden zu können. 

Berechtigte des Sozialen Entschädigungsrechts sind nach §2 SGB XIV:

– Geschädigte, sowie deren Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende

Geschädigte= Personen, die durch ein schädigendes Ereignis nach dem SGB XIV unmittelbar eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben.

Angehörige= Ehegatten, sowie Kinder und Eltern von Geschädigten, sowie im Haushalt Geschädigter Stiefkinder oder Pflegekinder

Hinterbliebene: Witwen, Witwer und Waisen; Eltern; Betreuungsunterhaltsberechtigte einer an den Folgen einer Schädigung verstorbenen Person.

Nahestehende= Geschwister, sowie Personen, die mit dem Geschädigten eine Lebensgemeinschaft führen, die der Ehe ähnlich ist.

Geschädigte haben nach §4 Abs. 1 Anspruch auf Leistungen der Sozialen Entschädigung wegen anerkannter gesundheitlicher und wirtschaftlicher Folgen einer gesundheitlichen Schädigung, die ursächlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen ist.

Das schädigende Ereignis kann im SGB XIV eine körperliche Gewalttat (§13 Abs. 1 SGB XIV), eine psychische Gewalttat (§13 Abs. 1 Nr.2 SGB XIV), oder eine gleichgestellte Tat (§14 SGB XIV) sein. 

Leistungen können u.a. sein: schnelle Hilfen (Behandlung in Traumaambulanzen, Begleitung durch ein Fallmanagement), Krankenbehandlung, Erstattung von Hilfsmitteln, Leistungen zur Teilhabe (am Arbeitsleben, an Bildung, Soziale Teilhabe), Opferrente/ Entschädigungszahlungen, Berufsschadensausgleich, besondere Leistungen im Einzelfall… Hierfür gelten allerdings unterschiedliche Voraussetzungen, sodass bestenfalls eine Beratung erfolgen sollte.

Nachdem bislang jedoch noch keine flächendeckende Aufklärung über die Existenz des SGB XIV, sowie dessen Leistungen vonseiten der Versorgungsämter gegenüber den Gewaltopfern erfolgt ist, sei die Broschüre des BFF e.V., BKSF e.V. und KOK e.V.: „SGB XIV: Das neue Soziale Entschädigungsrecht- Eine Praxishandreichung zur Unterstützung Betroffener von sexualisierter Gewalt, häuslicher Gewalt und Menschenhandel“ sehr empfehlenswert:

Weitere Informationen sind zudem auf der Internetseite des BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) zu entnehmen:

BMAS – Soziale Entschädigung

Erklärfilm "Was ist Gewalt?"

Wie definiert das neue Soziale Entschädigungsrecht Gewalt? Wer hat als Opfer einer Gewalttat Anspruch auf Entschädigungsleistungen? Was sind die wichtigsten Änderungen des neuen Sozialen Entschädigungsrechts? In diesem Video erfahren Sie mehr zu diesem Thema.

Opferentschädigungsgesetz (OEG) - Regelung des Anspruchs und der Höhe der Opferentschädigung

Das Opferentschädigungsgesetz (OEG regelt in Deutschland einen Anspruch auf staatliche Leistungen für Personen, die durch eine rechtswidrige Gewalttat eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben. Es ist Teil des deutschen Sozialrechts, konkret des sozialen Entschädigungsrechts. Zum 1. Januar 2024 wird es in das Vierzehnte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XIV) integriert, gilt aber bereits jetzt gem. §68 Nr.7 f) SGB I als besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs.

Anwendbarkeit des Opferentschädigungsgesetzes

Der persönliche Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes erstreckt sich grundsätzlich auf alle Personen, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Ereignet sich die Gewalttat im Ausland, so ist Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch, dass der Antragssteller seinen Wohnsitz in Deutschland hat und sich im Tatzeitpunkt nur vorübergehend (max. sechs Monate) außerhalb Deutschlands aufhielt (vgl. §3a Abs. 1 OEG).

Anspruchsberechtigt sind demnach insbesondere:

  • Deutsche Staatsbürger (vgl. Art. 116 GG);
  • Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaats;
  • Andere Ausländer, die sich bereits seit drei Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhalten (vgl. §1 Abs. 4 OEG);
  • Andere Ausländer im Falle der sog. „Gegenseitigkeit“ (d.h. dass der Heimatstaat für einen Deutschen einen vergleichbaren Anspruch vorsieht, was nur sehr selten der Fall ist).
  • Ausländer, die sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhalten, erhalten eingeschränkte, einkommensunabhängige Leistungen. Bei einem vorübergehenden Aufenthalt von bis zu drei Monaten, kommen lediglich eine einmalige Geldzahlung und die Übernahme von Heil- und Krankenbehandlungskosten in Betracht.

Grundanspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz

Die zentrale Norm des Opferentschädigungsgesetzes ist §1 Abs. 1 OEG, die den Anspruch auf die Entschädigungsleistungen regelt. Danach hat Anspruch auf Versorgung, wer infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Tätlicher Angriff meint dabei jede in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung. Nach der Rechtsprechung ist es nicht erforderlich, dass es tatsächlich zu einer Berührung kam.

Beispiele für einen Angriff im Sinne des §1 Abs. 1 OEG sind etwa:

  • Tötungsdelikte gem. §§211 ff. Strafgesetzbuch (StGB);
  • Körperverletzungsdelikte gem. §§223 ff. StGB;
  • Sexualdelikte gem. §§174 ff. StGB;
  • Straftaten gegen die persönliche Freiheit, wenn es zu einer Anwendung von Gewalt kommt (z.B. einer Aussetzung gem. §221 StGB oder Freiheitsberaubung gem. §239 StGB).


Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Angriff auch dann zu bejahen, wenn das Opfer bei einer Freiheitsberaubung erst infolge der Flucht an der Gesundheit geschädigt wird, beispielsweise durch einen Sturz aus dem Fenster (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2006- Az.: B9a VG 4/05 R).

Die Angriffshandlung muss nicht zwingend gegen den Geschädigten selbst gerichtet sein, sondern kann auch gegen eine andere Person (z.B. die Begleitung oder einen Dritten) gerichtet sein. Hierunter fallen u.a. auch sog. Schockschäden von nicht unmittelbar durch die Tat geschädigten Personen, z.B. Augenzeugen. Der Anspruch besteht ferner, wenn die gesundheitliche Schädigung durch die rechtmäßige Abwehr des Angriffs erlitten wurde (z.B. durch Notwehr gem. §32 StGB).

Der Angriff muss allerdings vorsätzlich sein, sowohl hinsichtlich des Angriffs als auch der gesundheitlichen Schädigung (insoweit ist bedingter Vorsatz ausreichend), nicht jedoch hinsichtlich der konkreten Folgen der Schädigung.

Rechtswidrig ist der Angriff nur dann nicht, wenn der Angreifer durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist, also beispielsweise seinerseits in Notwehr (§32 StGB) handelt oder ein rechtfertigender Notstand (§34 StGB) vorliegt.

§1 Abs. 1 S.2 OEG bestimmt ausdrücklich, dass der Anspruch auch dann besteht, wenn der Angreifer irrtümlich davon ausging, dass die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vorlagen, und folglich im sog. Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt hat. 

Ausschluss des Anspruchs

§2 OEG sieht Versagungsgründe vor, die den Anspruch ausschließen können. Danach ist der Anspruch ausgeschlossen, wenn der Geschädigte die Schädigung selbst verursacht hat (vgl. §2 Abs. S. Alt. 1 OEG). Darüber hinaus kommen weitere Gründe in Betracht, insbesondere, wenn es aufgrund des eigenen Verhaltens des Anspruchstellers unbillig wäre, ihm Entschädigung zu gewähren (vgl. §2 Abs. 1 S.1 Alt. 2 OEG). Diese Generalklausel erlaubt es den Gerichten, ihre Entscheidung aufgrund einer Gesamtwürdigung des konkreten Einzelfalls zu treffen.

Weitere Versagungsgründe sind:

  • Der Geschädigte gehört der organisierten Kriminalität an; in diesem Fall muss er den Beweis erbringen, dass die Schädigung nicht damit in Zusammenhang steht (vgl. §2 Abs. 1 S.2 Nr. 3 OEG);
  • Der Geschädigte ist oder war an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt und wurde in diesem Zusammenhang geschädigt (vgl. §2 Abs. 1 S.2 Nr. 1 OEG);
  • Der Geschädigte ist oder war an einer kriegerischen Auseinandersetzung in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt und wurde in diesem Zusammenhang geschädigt (vgl. §2 Abs. 1 S.1 Nr. 2 OEG).
  • Der Geschädigte hat nicht das ihm Mögliche getan, um zur Aufklärung der Tat und der Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere nicht unverzüglich Anzeige bei der Polizei erstattet (vgl. §2 Abs. 2 OEG). 
Darüber hinaus ist der Anspruch nach §1 Abs. 1 OEG gegenüber möglichen anderen Ansprüchen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) subsidiär, soweit diese Ansprüche aufgrund der Schädigung entstehen (vgl. § 3 Abs. 2 OEG).

Höhe der Entschädigung/ Leistungen gemäß OEG-Tabelle 2020

Das Opferentschädigungsgesetz enthält keinen eigenen Leistungskatalog, sondern verweist in §1 Abs. 1 S. 1 OEG auf die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Daher richten sich sowohl Höhe und Umfang der Leistungen grundsätzlich nach dem BVG. Lediglich für Entschädigungen nach §3a OEG sieht das OEG einen eigenen Katalog vor. 

Die Leistungen umfassen insbesondere:

  • Kosten für Heil- und Krankenbehandlung
  • Kosten für Pflegeleistungen
  • Kosten für Hilfsmittel (z.B. Prothesen, Zahnersatz oder Rollstuhl)
  • Bestattungs- und Sterbegeld
  • Entschädigungszahlungen für Geschädigte und Hinterbliebene
  • Fürsorgeleistungen bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit
Ein Schmerzensgeld (vgl. §253 Bürgerliches Gesetzbuch-BGB) wird durch den Staat nicht gezahlt.
Auch Eigentums- und Vermögensschäden werden grundsätzlich nicht durch den Staat ersetzt. Die einzige Ausnahme bilden am Körper getragene Hilfsmittel, wie zum Beispiel Brillen, Kontaktlinsen oder Zahnersatz (vgl. §1 Abs. 7 OEG). 

Für die Höhe der als monatlichen Rente ausgezahlten Entschädigungszahlung ist gem. § 31 Abs. 1 BVG der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) ausschlaggebend. Dieser reicht von 0-100. Damit eine monatliche Rente ausgezahlt wird, muss mindestens ein GdS von 30 vorliegen.


GdS             Höhe der monatl. Rente
30                156 Euro
40                212 Euro
50                283 Euro
60                360 Euro
70                499 Euro 
80                603 Euro
90                724 Euro
100              811 Euro

Ab einem GdS von 50 geht das Gesetz von einer Schwerbeschädigung aus (vgl. § 31 Abs. 2 BVG). Hat ein Schwerbeschädigter das 65. Lebensjahr vollendet, so erhöht sich die Grundrente um 32 Euro bis 48 Euro (vgl. § 31 Abs. 1 BVG).


Bei einem GdS ab 100 und einer außergewöhnlichen gesundheitlichen Betroffenheit, kann gem. §31 Abs. 4 BVG eine monatliche Schwerbeschädigtenzulage gezahlt werden, die in sechs Stufen unterteilt ist.


Stufe             Höhe der monatl. Zulage

Stufe I           94 Euro
Stufe II         193 Euro
Stufe III        288 Euro
Stufe IV       385 Euro
Stufe V         479 Euro
Stufe VI       578 Euro

Einmalzahlung oder Rente?

Die Entschädigungsleistungen für Geschädigte und Hinterbliebene werden als monatliche Rentenleistungen ausgezahlt, um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auszugleichen. Die Höhe orientiert sich dabei am Ausmaß der Schädigungsfolgen und den tatsächlich eingetretenen wirtschaftlichen Nachteilen.

Wurde die Gewalttat im Ausland verübt, so besteht neben einem Anspruch auf Kostenübernahme im Rahmen der Heilbehandlung und Rehabilitation lediglich Anspruch auf eine einmalige Zahlung (vgl. §3a Abs. 2 OEG). Dieser wird ebenfalls anhand des Grads der Schädigungsfolgen berechnet und liegt zwischen 800 Euro und 16.500 Euro.

 

 GdS            Höhe der Einmalzahlung

10 – 20        800 Euro

30 – 40        1.600 Euro

50 – 60        5.800 Euro

70-90          10.200 Euro

100              16.500 Euro

In besonders schwerwiegenden Fällen, etwa bei Verlust mehrerer Gliedmaßen oder bei schweren Verbrennungen, beträgt die Einmalzahlung 28.500 Euro (vgl. §3a OEG). 

Antrag

Die Entschädigungsleistungen nach dem OEG werden nur auf Antrag gewährt (vgl. §1 Abs. 1 OEG). Eine bestimmte Form ist dabei nicht einzuhalten, allerdings stellen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und die Landesversorgungsbehörden, Formulare zur Antragstellung zur Verfügung. 

Zuständig ist grundsätzlich die Versorgungsbehörde des Bundeslandes, in dem der Betroffene seinen Wohnsitz hat, bzw. die Versorgungsbehörde, in der die Tat begangen wurde, falls der Betroffene keinen Wohnsitz in Deutschland hat.

Der Antrag kann jedoch bei allen anderen Sozialleistungsträgern eingereicht werden, beispielsweise bei einer Krankenkasse. 

Frist/ Verjährung

Für die Antragstellung besteht keine Frist, insbesondere muss der Ausgang eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens gegen den Täter nicht abgewartet werden. Der Entschädigungsanspruch nach dem OEG unterliegt auch keiner Verjährung.

Quelle: www.juraforum.de/lexikon/Opferentschädigungsgesetz