Petition

Darstellung des Originaltextes der Petition am Beispiel Bayerns:

Über welche Entscheidung / welche Maßnahme / welchen Sachverhalt wollen Sie sich beschweren? (Kurze Umschreibung des Gegenstands Ihrer Petition)

 

Ausgestaltung des Verfahrens bei der Beantragung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz. Konkret in Bezug auf die Ausgestaltung der Antragsformulare, die Kommunikation der Behörden mit den Antragstellerinnen und Antragstellern, die medizinische Begutachtung im Rahmen des Antragsverfahrens, die Bearbeitungsdauer der Anträge auf Opferentschädigung, sowie die Entscheidungspraxis 

 

Was möchten Sie mit Ihrer Bitte / Beschwerde erreichen?  

Etablierung einer externen, unabhängigen Monitoringstelle zur Überprüfung des Opferentschädigungsverfahrens in Bayern, sowie einer ebenso unabhängigen Beschwerdestelle für Gewaltopfer

 

Gegen wen, insbesondere welche Behörde / Institution, richtet sich Ihre Beschwerde? 

gegen das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS)

 

Bitte geben Sie eine kurze Begründung für Ihre Bitte / Beschwerde:

Wie die Fakten, sowie Erfahrungsberichte von Gewaltopfern aufweisen, besteht großer Handlungsbedarf im Opferentschädigungsverfahren, da Gewaltopfern nicht jene Unterstützung zukommt, wie sie rechtlich gesehen stattfinden sollte, sowie weitere Diskriminierungen und sekundäre Viktimisierungen durch die Behörden auftreten.

 

Gliederung der Begründung:

 

  • Gesetzliche Rahmenbedingungen
  • Bundesweite Statistik und Berichte vom Weißen Ring
  • Landesstatistik
  • Erfahrungsbericht
  • Faktoren für die Konzipierung der Monitoringstelle
  • Unabhängige Beschwerdestelle für Gewaltopfer
  • Proaktive Aufklärung über die Leistungen nach dem OEG

 

Gesetzliche Rahmenbedingungen (international/national):

Nach der Richtlinie 2004/80/EG des Rates vom 29.April 2004 zur Entschädigung der Opfer von Straftaten, sollten „Opfer von Straftaten in der Europäischen Union unabhängig davon, an welchem Ort in der Europäischen Gemeinschaft die Straftat begangen wurde, Anspruch auf eine gerechte und angemessene Entschädigung für die ihnen zugefügte Straftat haben.“ 

„Das übergeordnete Ziel der Entschädigung besteht darin, Opfer vorsätzlicher Gewalttaten anzuerkennen und die Heilungsprozesse zu fördern. Die Opfer sollten während des Entschädigungsverfahren unter keinen Umständen dem Risiko einer sekundären Viktimisierung ausgesetzt sein.“ – Europäische Kommission

„Die Opfer sollen vom Staat, und soweit zutreffend, von zwischenstaatlichen und nichtstaatlichen Organisationen und Privatunternehmen mit Mitgefühl und Achtung unter Achtung ihrer Würde und ihrer Menschenrechte behandelt werden und es sollen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Sicherheit und ihre Privatsphäre ebenso wie die ihrer Familien zu gewährleisten. Der Staat soll sicherstellen, dass in seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften so weit wie möglich Vorkehrungen dafür getroffen, dass ein Opfer, das Gewalt oder ein Trauma erlitten hat, besondere Aufmerksamkeit und Betreuung erhält, um zu vermeiden, dass das Opfer im Zuge der Rechts- und Verwaltungsverfahren, die Gerechtigkeit und Wiedergutmachung gewähren sollen, erneut traumatisiert wird.“ – UN- Menschenrechtskommission

Gemäß der EU- Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU müssen Opfer von allen Akteuren, die mit ihnen in Kontakt kommen, als solche anerkannt und auf respektvolle, einfühlsame, individuelle, professionelle und diskriminierungsfreie Weise behandelt werden.“

Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG)

§ 1 Anspruch auf Versorgung

(1)  Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift
wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

 

 

Bundesweite Statistik und Berichte vom Weißen Ring

Am 15.08.22 veröffentlichte der Weiße Ring hierzu die Statistik des Opferentschädigungsverfahrens von 2021 und musste feststellen, dass sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten hatten, indem die Anerkennungszahlen einen Rekordtiefstand seit mehr als 20 Jahren, erreichten.

Für 2021 bedeutete dies bundesweit, dass von 164.646 erfassten Gewalttaten (PKS), wobei die Dunkelziffer hierin nicht erfasst wird, lediglich 9,12% der Gewaltopfer einen Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) stellten. Hiervon wurden allerdings nur 27,6% anerkannt, was 2,5% der erfassten Gewalttaten entspricht; 46,29% der gestellten Anträge erhielten eine Ablehnung und 25,8% wurden aus sonstigen Gründen erledigt.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass sich dahinter zum großen Teil Fälle verbergen, in denen Gewaltopfer ihre Anträge zurückgezogen haben-weil sie durch die Bürokratie und die langen Verfahren zermürbt sind“, sagt Prof. Jörg Ziercke (Bundesvorsitzender des Weißen Rings). Warum Opfer ihre Anträge zurücknehmen, wird bislang bundesweit nicht einheitlich erfasst.

Auf die konkreten Fakten von Bayern wird im Verlauf dieser Petition ausführlicher Bezug genommen, zumal die Verantwortung der Durchführung des Opferentschädigungsverfahren den jeweiligen Ländern zugeordnet ist.

Prof. Jörg Ziercke stellte folgendes Fazit: „die Bürokratie lässt Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, immer öfter hilflos zurück.“ 2021 war ein sehr schlechtes Jahr für Opfer, die von Gewalt betroffen waren. Das OEG ist ein gutes Gesetz, aber der Staat hält sein Hilfsversprechen nicht. Die Unterstützung kommt nicht bei den Betroffenen an“, „Wer um die Schwachstellen weiß, kann auch etwas ändern.“, „Die Behörden müssen auf Anerkennung prüfen, nicht auf Ablehnung. In Deutschland muss der Leitsatz gelten: Im Zweifel für das Opfer!“. 

Quellen:

https://forum-opferhilfe.de/staatliche-hilfe-fuer-gewaltopfer-auf-rekord-tiefstand/ 

https://forum-opferhilfe.de/wp-content/uploads/OEG-Statistik-2021.pdf

 

Des Weiteren wurden die Missstände im OEG-Verfahren seitens des Weißen Rings ausführlich recherchiert, sowie im Januar 2022 im OEG-Report des Forums Opferhilfe veröffentlicht:

https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/forumopferhilfeausgabe01-22web.pdf

https://presse.weisser-ring.de/oeg/,  

https://presse.weisser-ring.de/oeg-laender/,
https://forum-opferhilfe.de/oegreport-tatort-amtsstube/

 

 

Ersichtlich werden hierin vor allem die niedrige Zahl der gestellten Anträge (OEG) sowie die hohe Ablehnungsquote, Zudem wird im Bericht dargestellt, wie die langwierigen, hochbürokratischen und nicht kundenfreundlichen Antragsverfahren dazu führen, dass Gewaltopfer schlussendlich resignieren, da die Verfahrensführung nicht mehr aushaltbar ist und Anträge aus Selbstschutz zurücknehmen. Trotz eines solchen eklatanten Missstands erfolgt keine Evaluation, welche die Gründe hierfür näher beleuchten würde.

 

Diese Fakten sprechen für die Schaffung einer unabhängigen Monitoringstelle, die regelmäßig die Verfahren überprüft und einer Beschwerdestelle, an welche sich die Opfer wenden können. 

 

 

 

Landesstatistik/ Entsprechende Fakten, bezogen auf Bayern:

 

Die Fakten (zusammengefasst von 2017-2021, weitere Daten sind in den Statistiken des Weißen Rings einsehbar):

2021 ereigneten sich laut PKS in Bayern 543.680 Straftaten, davon 16.882 Gewaltdelikte. (Erfasst sind hierbei jedoch lediglich die zur Anzeige gebrachten Fälle (Hellfeld). Vor allem im Bereich sexualisierter Gewalt ist die Anzeigebereitschaft gering.

Laut Dunkelfeldstudien wird jede 3. Frau mindestens einmal in ihrem Leben, Opfer von sexualisierter und/ oder physischer Gewalt, wodurch eine weitaus höhere Anzahl angenommen werden kann. Siehe:

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642

 

Ebenso verhält es sich bei der Dunkelziffer sexuellen Missbrauchs: 

Dunkelfeldforschungen aus den vergangenen Jahren haben ergeben, dass etwa jede:r siebte bis achte Erwachsene in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. Unter den Frauen ist jede fünfte bis sechste Frau betroffen. Es ist davon auszugehen, dass etwa ein bis zwei Schüler:innen in jeder Schulklasse von sexueller Gewalt in der Familie und andernorts betroffen waren/sind. Siehe: https://beauftragte missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Zahlen_und_Fakten/220810_UBSKM_Fact_Sheet_Zahlen_und_Fakten_zu_sexuellem_Kindesmissbrauch_.pdf )

 

Gestellt wurden im Jahr 2021 lediglich 1.128 Anträge nach dem OEG (was 6,68% der erfassten Gewalttaten entspricht).

In Bezug auf die Gewaltdelikte in Bayern wurden lediglich 2,58% der Anträge anerkannt, 1,48% der Gewaltopfer erhielten Heilbehandlungen, sowie 1,10% Renten.

2020 erhielten lediglich 2,97% der Gewaltopfer in Bayern eine Opferentschädigung, 2019 waren dies 1,98%, 2018: 2,18%, sowie 2017: 2,45%.

Einerseits ist kein Wissen über das Vorhandensein der Opferentschädigung vorhanden, andererseits wird mittlerweile, aufgrund der Verfahrensführung, von Fachpersonen, welche mit Opfern in Kontakt treten, vor einer Antragsstellung abgeraten oder die bürokratischen, sowie emotionalen Hürden der Gewaltopfer sind zu groß, um einen Antrag stellen zu können, zumal in diesem das Tatgeschehen detailliert geschildert werden muss, was nicht selten zu Retraumatisierungen führt.

 

Aus zahlreichen Erfahrungsberichten von Gewaltopfern ist bekannt, wie sehr diese unter der Verfahrensführung leiden, sei es, dass die Schädigungen der Tat/ Taten abgesprochen werden (sekundäre Viktimisierung), die aufgrund von fehlerhaften Entscheidungen oft jahrzehntelangen, belastenden Klageverfahren vor den
Gerichten (SG, LSG, BSG), die Unterziehung zahlreicher Gutachten, sowie von Gegengutachten (Meist werden diese eingeleitet, wenn das erste Gutachten „zu
gut“ ausfällt) u.v.m. Einige von ihnen halten dieser Diskriminierung nicht stand und verfallen nach dem Erhalt von Briefen seitens der Behörden in Krisen, welche mitunter zur Suizidalität führen. Dies ist nicht hinnehmbar für ein Recht auf eine Entschädigung, welche ihnen eigentlich laut Gesetz zustehen
sollte. Es sind jedoch keine objektiven Daten hierüber bekannt. Weder darüber, wie lange die Verfahrensdauer beträgt, wie viele Gewaltopfer zusätzlich vor den
unterschiedlichen Instanzen der Gerichte für ihre Opferentschädigung kämpfen müssen, noch die Erfassung sekundärer Viktimisierungen durch die über Jahre
stattfindende Diskriminierung. Es wird nicht erfasst, wie viele Gewaltopfer sich im Laufe des Verfahrens suizidiert haben, weil sie dieses nicht mehr aushalten können.

Ein Fall, David C., ist mir bekannt, welcher sich hilfesuchend an andere Gewaltopfer wandte, um nach Unterstützung bei dem Verfassen eines Briefes an die EU-Kommission zu fragen, um hierin die Missstände und Diskriminierungen im OEG-Verfahren zu schildern. Dies geschah unmittelbar nach dem Erhalt eines Briefes seitens der Behörde, in welchem seine gesundheitlichen Folgen, resultierend aus der Gewalttat, abgesprochen wurden. Kurz darauf suizidierte er sich. Es ist ein tragischer Fall, doch leider kein Einzelfall.

Es ist nicht ausreichend zu behaupten, dass dies lediglich aufgrund von Krankheiten wie Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung auftritt, denn insofern strukturelle Gewalt vorhanden ist, kann auch dies Grund für einen Suizid sein.

 

 

Erfahrungsbericht

……….

 

 

Aus diesem Grund fordere ich
folgende Maßnahmen:

 

1.    Eine unabhängige Monitoringstelle für die Verfahren nach dem OEG

2.    Eine unabhängige Beschwerdestelle für Gewaltopfer, sowie Angehörige von Mord- und Tötungsdelikten

3.    Proaktive Aufklärung über die Leistungen nach dem OEG

 

 

1.    Unabhängige Monitoringstelle für die Verfahren nach dem OEG

 

Aufgrund des Austausches mit aktuell 1.318 weiteren Gewaltopfern, welche sich weitestgehend in Klageverfahren bezüglich der Opferentschädigung befinden, wurde mir das Ausmaß der Missstände eindrücklich bewusst. Demnach, um die Missstände objektivieren zu können, ist es erforderlich eine unabhängige, externe Beschwerdestelle für Gewaltopfer einzurichten, sowie eine Monitoringstelle in Bayern, welche mitunter folgende Daten erfasst und auswertet:

 

      Gestellte Anträge mit/ ohne Anzeigenstellung

      Widerspruchs-/ Klageverfahren, sowie Begründungen hierfür

      Ablehnungen

      Erfassen von Ablehnungsgründen

      Gewaltdelikte (Art)

      Grad der Schädigungsfolgen/ GdS (bei anerkannten Anträgen)

      Offenlegung aller beantragten, bewilligten und abgelehnten Anträge in Bayern, sowie deren GdS (über einen längeren Zeitraum, z.B. von mindestens 15 -20 Jahren)

      Zeitraum des Antragsverfahrens

      Qualifikationen der Gutachter

      externe Überprüfung der Gutachten (z.B. durch ausgebildete Fachärzte/ Psychotherapeuten mit Schwerpunkt Psychotraumatologie) und unabhängige Einschätzung dieser

      Anzahl der Anzeigenforderungen durch die Ämter, um Opferentschädigung erhalten zu können

      Erfassen von sekundären Viktimisierungen anhand der Daten (Begründungen, Begutachtungen)

      Erforschung von Suizidopfern, welche zuvor einen Antrag auf OEG gestellt hatten, sowie Analyse von Ablehnungen/ Begutachtungen/ Begründungen und hierdurch womöglich sekundäre Viktimisierung, welche einen Suizid begünstigen

 

 Opferbefragungen OEG betreffend:

      sekundäre Viktimisierungen von Amtswegen → in welcher Form, Art, Ursachen

      zusätzliche Erschwernisse (Sprache, Zugang, mangelhafte Aufklärung, z.B. über Beschwerdemöglichkeiten, Opferrechte, Istanbulkonvention, OEG, Antragsverfahren, Rechtsanwalt, finanzielle Einbußen (z.B. durch Eigenfinanzierung von Gutachten, Anwaltskosten…), etc.)

      Unterstützung vorhanden? In welcher Form? Als ausreichend oder verbesserungswürdig erachtet?

 

Allgemein:

      Sonstige Verstöße gegen die Opferschutzrichtlinien

 

Einbeziehung von anderen Fachpersonengruppen:

      Rechtsanwälte, welche im Bereich des OEG- Verfahrens tätig sind

      Psychotherapeuten/ Psychiater, dessen Patienten sich im OEG- Verfahren befinden, bzw. befanden

      Psychotraumatologen

 

 

 

1.1.        Faktoren für die Konzipierung der Monitoringstelle

 

·        Gewährleistung der Unabhängigkeit von allen staatlichen Instanzen und an den Verfahren Beteiligten.

·       Überprüfung der Opferentschädigungsverfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), sowie dem zukünftigen sozialen Entschädigungsrecht (SER), welches ab 2024 in Kraft tritt

·       Einbeziehung von anderen Institutionen, Experten, sowie der Partizipation von Gewaltopfern

·        Um die Partizipation von Gewaltopfern gewährleisten zu können, müssen alle Kommunikationswege zur Verfügung stehen (online, schriftlich, telefonisch, persönlich, sowie ein Proaktiver Kontakt bereitgestellt werden)

·         Regelmäßige Berichterstattungen gegenüber dem Landtag

·        Beteiligung der Stelle an allen thematisch zugehörigen Gesprächskreisen, Arbeitsgruppen, Runden Tischen und ähnlichen Arbeitstreffen in den zuständigen Ministerien

 

·        Möglichkeiten, um auf andere Entscheidungen der Behörden hinzuwirken:

o   Einleitung von Amtshaftungsverfahren (in schweren Fällen), da nur durch rechtliche Schritte eine Behörde gezwungen werden kann. Zusätzlich stellt dies einen Schutz der Opfer dar und stärkt das Rechtsprinzip, nachdem diese oftmals keine Kapazitäten und Ressourcen (Anwälte, Finanzen) hierfür zur Verfügung stehen haben, um sich ausreichend verteidigen zu können

o   Sanktionsverfahren

o   Einreichung/ Unterstützung bei Dienstaufsichtsbeschwerden

o   Kontaktaufnahme zur Behörde-> Konfrontation und Einforderung von Stellungnahmen

o   Zusätzlicher Austausch mit anderen Institutionen (z.B. dt. Institut für Menschenrechte, GREVIO, etc.)

o   Benachrichtigung des Landtags, wenn sich dieser gegen ein Einschreiten/ Änderungen weigert -> Bundestag -> EU-Kommission

o   Bei groben Verstößen: Musterklagen (BVerfG, EuGH, (EGMR). (Gewaltopfern ist dieser Rechtsweg verwehrt aufgrund zu hoher Prozess-, und Anwaltskosten, sowie der Unmöglichkeit einen Anwalt hierin zu finden; neben der emotionalen Belastung und Unzumutbarkeit, welche bei diesen Verfahren entstehen)

 

·        Gewährleistung des geschützten Zugangs von Insiderinformationen, ohne dass den Mitarbeitern/ ehemaligen Mitarbeitern des Versorgungsamtes ein Nachteil hieraus entstehen könnte, insofern diese Missstände anbringen wollen würden

·        Erleichterter Zugang von Rechtsanwälten (z.B. Online-Verfahren, sowie ebenso Gewährleistung eines tiefergründigen Austausches/ Anbringens bei vorliegenden Missständen

·        Schulung des Personals der Monitoringstelle
(Man muss bedenken, dass Gewaltopfer schwer traumatisiert sein und unterschiedliche Emotionen auftreten können, vor allem, wenn diese zusätzliche Gewalt seitens der Behörden erfahren. (Sei es Wut, Verzweiflung, emotionale Abgestumpftheit, etc.). Es ist wichtig, in solchen Situationen Ruhe, Respekt, Freundlichkeit
und Verständnis zu bewahren. Wichtigster Grundsatz welcher kontinuierlich vergegenwärtigt werden muss:

„Eine Straftat stellt ein Unrecht gegenüber der Gesellschaft und eine Verletzung der individuellen Rechte des Opfers dar. Die Opfer von Straftaten sollten als solche anerkannt und respektvoll, einfühlsam und professionell behandelt werden, ohne irgendeine Diskriminierung […] 

(Richtlinie 2012/29/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten)

 

Darüber hinaus müsste im weiteren Verlauf eine weitreichende Aufklärung gegenüber der Monitoringstelle erfolgen, zumal die Partizipation von Gewaltopfern entscheidend ist.

 

 

 

2.    Unabhängige Beschwerdestelle für Gewaltopfer und Angehörige von Mord- sowie Tötungsdelikten

 

Bezüglich der zusätzlich geforderten externen, unabhängigen Beschwerdestelle für Gewaltopfer und Angehörige von Mord- sowie Tötungsdelikten, wäre es wichtig, dass sich diese nicht lediglich auf die Opferentschädigungsverfahren fokussiert, sondern erfahrene Missstände in allen Bereichen erfasst. Eine solche Beschwerdestelle existiert bislang nicht und es werden bei Weitem nicht alle Missstände erfasst, welche mitunter gegen die Rechte der Opfer verstoßen.

Grundlage, weswegen es ebenso notwendig ist, Angehörige von Mord- und Tötungsdelikten mit einzubeziehen ist die Opferschutzrichtlinie des europäischen Parlaments und des Rates 2012/29/EU vom 25.Oktober 2012, in welcher der Begriff des Opfers in Kapitel 1, Artikel 2 folgend definiert ist:

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a) „Opfer“

i)                eine natürliche Person, die eine körperliche, geistige oder seelische Schädigung oder einen  wirtschaftlichen Verlust, der direkte Folge einer Straftat war, erlitten hat;

ii)             Familienangehörige einer Person, deren Tod eine direkte Folge einer Straftat ist, und die durch den Tod dieser Person eine Schädigung erlitten haben

b) „Familienangehörige“

den Ehepartner des Opfers, die Person, die mit dem Opfer stabil und dauerhaft in einer festen intimen Lebensgemeinschaft zusammenlebt und mit ihm einen gemeinsamen Haushalt führt, sowie die Angehörigen in direkter Linie, die Geschwister und die Unterhaltsberechtigten des Opfers;

 

 

 

3.    Proaktive Aufklärung über die Leistungen nach dem OEG

 

Des Weiteren muss eine recherchierbare, sowie proaktive, ausführliche Aufklärung hinsichtlich der zustehenden Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (sowie dem zukünftigen sozialen Entschädigungsrecht) erfolgen, nachdem diese bislang ebenso wenig existiert und Gewaltopfer demnach auf sich alleine gestellt sind, insofern kein kompetenter Rechtsanwalt im Sozialrecht oder der Erfahrungsaustausch mit anderen Gewaltopfern zur Verfügung steht. Dies verhindert oftmals den Zugang hierzu, obwohl ein Recht darauf bestehen würde.

 

 

Zuletzt möchte ich Gerhard Müllenbach, stellvertretender Bundesvorsitzender des Weißen Rings zitieren:
„Die Politik lobt das Opferentschädigungsgesetz- aber sie weiß überhaupt nichts darüber, ob die Umsetzung funktioniert. Sie weiß nicht, warum Anträge abgelehnt
werden. Welche Entscheidungen Widerspruchsverfahren zur Folge haben. Wie lange diese Verfahren dauern. Wie viele Antragssteller entnervt aufgeben. Wie schwer die Verfahren die Betroffenen belasten. Wie die Verfahren am Ende tatsächlich ausgehen. Es gibt keine einheitliche Erfassung, es gibt keine Evaluation. Die Politik muss doch wissen wollen, ob ihre Gesetze in der Praxis funktionieren!
Die Recherche unserer Redaktion zeigt: Dieses Gesetz funktioniert so jedenfalls nicht.“

 

Ich bedanke mich im Voraus für das Befassen mit dieser Petition, die für viele Gewaltopfer in Bayern sehr wichtig wäre, um bessere Umstände im Bereich der Opferentschädigung erfahren zu können!

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

nachgereichte Unterlagen, Originaltext am Beispiel Bayerns

anbei möchte ich gerne weitere Unterlagen, bezogen auf meine Petition zur Umsetzung des Opferentschädigungsgesetzes nachreichen, da hierin weitere Begründungen Erwähnung finden, insbesondere weswegen das neue SGB XIV, sowie die bestehenden Institutionen als nicht ausreichend erachtet werden können und es demnach der geforderten Maßnahmen in der Petition bedarf, um würdevollere Verfahren, sowie die Stärkung der Opferrechte ermöglichen zu können. 

Ich würde Sie daher bitten und wäre Ihnen dankbar, dieses Schreiben der Petition beizufügen. 

 

Gliederung: 

  1. Zusammenfassung 
  2. Begründung der externen, unabhängigen Monitoringstelle zur Überprüfung der Verfahrensführung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ SGB XIV
    1. Bezugnahmen zur Anfrage des Weißen Rings an das ZBFS 2022
    2. Zugrundeliegende Problematik der Verfahrensführung 
    3. Weitere Bezugnahme zum SGB XIV 
    4. Aussage von Kerstin Claus (UBSKM) zum SGB XIV

3. Begründung einer externen, unabhängigen Monitoringstelle und einer ebenso unabhängigen externen Beschwerdestelle, mit Bezugnahme auf das im November 2022 veröffentlichte „National Framework for comprehensive victim support“/ Victim support Europe

4. Proaktive Aufklärung zu den Leistungen nach dem OEG

5.Anlage: Forum Opferhilfe, insbesondere S.15- S.23: die Reaktionen von Gewaltopfern nach Veröffentlichung des OEG-Reports

 

 

1. Zusammenfassung: 

Die Reform der Opferentschädigungsverfahren im SGB XIV, sowie die bislang bestehenden institutionellen Einrichtungen sind nicht als ausreichend zu betrachten, wie im Verlauf ausführlich erläutert wird, weswegen es der geforderten Maßnahmen in der Petition auf Landesebene bedarf. 

Wie in der Anfrage des Weißen Rings an das ZBFS ersichtlich wird, besteht kein Wissen, keine Evaluation hinsichtlich der bestehenden Missstände innerhalb der Verfahren. Der Staat komme seiner Verpflichtung laut Prof. Dr. Jörg Ziercke (ehem. Bundesvorsitzender des Weißen Rings) eindeutig nicht nach. „Es ist ein Skandal, der durch die Bürokratie mitverursacht wird“. Eine geforderte Clearingstelle (welche die Ablehnungen explizit kontrollieren würde, wurde im SGB XIV nicht aufgenommen). 

Die Problematik ist allerdings weitaus tiefgreifender, als vermutlich bewusst ist und sich auch im SGB XIV nicht zwangsläufig ändern wird. Es herrscht innerhalb der Opferentschädigungsverfahren eine Ablehnungsmentalität (Begutachtungen) gegenüber traumatischen Folgestörungen, welche ihren Ursprung bereits in der Aberkennung psych. Traumafolgen von KZ-Häftlingen, sowie versehrten Soldaten des 1. Weltkriegs findet und bis heute fortgeführt wird (Prof. Dr. Jörg Fegert, 2022). Begutachtungen werden auch nach der Reform weiterhin stattfinden, Einfluss auf Anerkennungen nehmen, sowie den Grad der Schädigung festlegen, ohne dass eine Evaluationsmöglichkeit bestünde. Wie eine Aberkennung traumatischer Symptome und Krankheiten, entgegen wissenschaftlicher Standards erfolgen kann, ist in Abschnitt 2b aufgeführt. Demnach müsste sich die Mentalität ändern, was durch das SGB XIV weder ausreichend berücksichtigt, noch evaluiert oder eine Partizipation von Gewaltopfern, Anwälten, behandelnden Therapeuten/ Ärzten, ermöglicht wird. Eine Beweislastumkehr wurde nicht eingeführt. Beweiserleichterungen (§117 SGB XIV) sind bereits vorhanden (§15 KOVVfG), doch wie die Studie der Hochschule
Fulda 2011 feststellte und auch durch die Antworten von Gewaltopfern bekannt ist, wird hiervon selten Gebrauch gemacht (Kapitel 2c). Dies ist nur ein Beispiel von vielen, in welchem das Gesetz an der Umsetzung, nicht dessen vorhandenen Paragraphen, scheitert.

 Des Weiteren bestehen über die sozialrechtlichen Untätigkeitsklagen, keine zeitlich befristeten Bescheidsvorgaben. Dienstaufsichtsbeschwerden sind in derselben ausführenden Behörde oftmals unwirksam, Petitionen, neben den nicht selten weiteren zu führenden Gerichtsverfahren (wie im Straf-, Sozial-, Zivil-, Familien-, Verwaltungs- und Arbeitsreicht), überfordernd, Amtshaftungsverfahren ohne Begleitung kaum durchführbar. Höhere rechtliche Instanzen bleiben meistens unberührt.

Frau Kerstin Claus (UBSKM) äußerte sich zum SGB XIV, dass die quantitative wie qualitative Evaluation im SGB XIV nicht ausreichend berücksichtigt wurde und sie somit die Länder in der Pflicht der Evaluation sieht. (Kapitel 2d) 

Im November 2022 erschien das „National Framework for comprehensive victim support“ von Victim support Europe, welches sich insbesondere in Kap. 7 mit
nationalen Monitoringsverfahren befasst. Es ist demnach nicht ausreichend, Dienste für Gewaltopfer zu etablieren, da diese auch von entsprechenden Mechanismen regelmäßig überprüft werden müssten. Die Partizipation von Gewaltopfern ist zu ermöglichen. Auch werden zu errichtende Beschwerdestellen für Opfer als essenzielle Mechanismen explizit erwähnt, welche in der Form bislang nicht existieren.
 

Hinsichtlich der Aufklärung zum OEG/ SGB XIV umfasst diese nicht ausschließlich, den Bekanntheitsgrad des Gesetzes zu erhöhen, sondern ebenso eine umfangreiche Aufklärung über die entsprechenden Leistungen und Fürsorgeleistungen zu bieten. 

Insbesondere ist auf die Anlage (Forum Opferhilfe) des Weißen Rings zu verweisen (S.15-23), in welcher eine Auswahl von hunderten Nachrichten der Gewaltopfer, nach Veröffentlichung des OEG-Reports, Erwähnung findet.

Ich bitte Sie daher, sich mit der Thematik umfangreich zu befassen, da gravierende Missstände bestehen und vermutlich weiterhin bestehen werden, die zu zusätzlichem Leid der Opfer führen; den Anhang durchzulesen und die geforderten Maßnahmen in der Petition positiv zu bescheiden. 

 

 

2. Begründung der externen unabhängigen Monitoringstelle: 

Obwohl das Opferentschädigungsgesetz ab dem 01.Januar 2024 reformiert wird, ist die Datenerfassung nach §126, §127 SGB XIV nicht ausreichend, um die Missstände umfangreich evaluieren und hierauf einwirken zu können, wodurch die Etablierung einer externen unabhängigen Monitoringstelle auf Landesebene essenziell ist, wie ich im Folgenden begründen werde.

a) Bezugnahme zur Anfrage des Weißen Rings an das ZBFS 2022:

Nach den umfangreichen Recherchen des Weißen Rings (OEG-Report/ 2022), wurde das ZBFS zu den vorliegenden Missständen, sowie des Wissens über die
länderspezifischen Daten zum OEG befragt. 

Ersichtlich wurde in der Antwort allerdings, dass weder explizites Wissen hierüber vorhanden, noch eine umfangreiche Evaluation dessen, geplant ist.

Es ist u.a. weder bekannt, wie lange die Verfahrensdauer beträgt, welche expliziten Schulungen für diese angeboten werden (ausgenommen der 1x jährlich stattfindenden Austauschtreffen der Sonderbetreuer), um eine ausreichende Qualifizierung zu gewährleisten, welche Gründe den Ablehnungen, inkl. derer aus sonstigen Gründen zu Grunde liegen, wie viele Anträge zurückgenommen worden sind, insbesondere weshalb dies, auch in Bezug der jährlich durchschnittlich 40 stattfindenden Klagerücknahmen, geschieht. 

Obwohl Sonderbetreuer existieren, bestehen dennoch gravierende Missstände innerhalb der Verfahren.

Es wird darauf verwiesen, dass die lange Bearbeitungsdauer im Zusammenhang der Ermittlungsverfahren stünde, doch sozialrechtlich gesehen, sind Entscheidungen bereits vor Beendigung von Strafverfahren möglich, nur wird dies behördlicherseits oftmals nicht berücksichtigt. (s.h. OEG-Report: „Juristen berichten, dass Ämter oft abwarten, ob es einen Strafprozess gibt, in dem ein Täter verurteilt wird. „Das ist rechtlich nicht richtig, weil das OEG-Verfahren ein eigenes, vom Strafprozess unabhängiges Verfahren ist“, kritisiert Jürgen Walczak, der seit bald 30 Jahren als Fachanwalt für Sozialrecht im Hamburger Süden arbeite“).

Bislang besteht auf Landesebene demnach kein Wissen, keine Evaluation, ganz zu schweigen von der Ermöglichung einer Partizipation, welche als einzige Instanz, strukturelle Defizite umfangreich offenbaren könnte. 

Da eine solche ebenso wenig im SGB XIV vorgesehen ist und die Umsetzung des Bundesgesetzes den Ländern obliegt, bedarf es der geforderten Monitoringstelle auf Landesebene. 

Hinsichtlich der Verfahrenslänge, der Erledigung „aus sonstigen Gründen“, sowie der unterschiedlichen Gesetzesauslegungen der Behörden, möchte ich an dieser Stelle gerne Prof. Dr. Jörg Ziercke (bis 2022 Bundesvorsitzender des Weißen Rings) zitieren2: 

„In den Ländern gibt es neben Anerkennungen und Ablehnungen auch noch die Kategorie „Erledigungen aus sonstigen Gründen“. Dahinter verbergen sich nach meiner festen Überzeugung zu einem großen Teil Fälle, in denen es die Menschen leid sind, die Beweisanforderungen zu erfüllen, die immer wieder mit gutachterlicher Tätigkeit, mit Stellungnahmen, mit schriftlichen Eingaben verbunden sind, zumal sich das Verfahren oft erheblich in die Länge zieht. Es dauert Wochen, Monate oder Jahre, so dass die Menschen am Ende erschöpft und enttäuscht sind und dann von sich aus nicht mehr weitermachen. Das heißt, wenn man die Zahl dieser Rückzüge genauer fassen könnte, dann ist die Zahl der Menschen, die Entschädigung erhalten, noch niedriger. Ich behaupte, dass von den rund 200.000 Gewaltfällen, die wir in Deutschland im Jahr haben, nur drei bis vier, vielleicht fünf Prozent der Opfer wirklich Leistungen durch den Staat erhalten. Und das, finde ich, ist ein Skandal, der durch die Bürokratie mit verursacht wird.“

Im Opferentschädigungsgesetz steht: Der Staat verpflichtet sich, seine Bürger zu schützen – und in den Fällen, wo er es nicht konnte, verspricht er, für ihre Versorgung einzustehen. Kommt der Staat dieser Verpflichtung nach? 

Der Staat kommt seiner Verpflichtung eindeutig nicht nach. Das zeigen unsere Recherchen. Ich unterstelle kein absichtsvolles Verhalten des Staates oder der Politik. Die Bürokratie ist nicht entsprechend vorbereitet auf den Umgang mit einem problematischen Rechtsbereich auf der einen Seite und mit Problemen auf der anderen Seite, die der Mitarbeiter möglicherweise mit dem traumatisierten Antragsteller hat.

Bürokratie geht da kritisch ran: Das Opfer hat die Beweislast, festzustellen, zu belegen, nachzuweisen, was passiert ist. Und das endet dann manchmal eben auch so, dass die Bürokratie sagt: Ja, dann sollen die Opfer doch vor Gericht gehen, dann warten wir mal das Urteil ab. Aber das wird traumatisierten Opfern nicht gerecht! Im Strafverfahren hat der Täter das letzte Wort. Und ein Gericht muss im Zweifel für den Angeklagten entscheiden, das ist ein wichtiger Rechtsgrundsatz. 

In den Sozialbehörden in Deutschland wird allerdings im Zweifel gegen das Opfer entschieden. Hier braucht es einen Paradigmenwechsel: Bürokratie sollte grundsätzlich den Opfern glauben und nicht grundsätzlich an ihrer Aussage zweifeln. 

Das heißt, die Kultur in Behörden muss sich ändern? Deutlich! Das, was der WEISSE RING jetzt mit seinem Ländervergleich zutage gefördert hat, ist aus meiner Sicht ein Beleg für die Unterschiedlichkeit der Auslegung von Gesetzen in den Behörden: So gravierend jeder Einzelfall ist, so unverständlich muss es jedem Opfer vorkommen, dass man in einem Bundesland zu 50 Prozent Erfolg mit seinem Antrag hat und in einem anderen nicht annähernd.“ 

Aus zahlreichen Erfahrungsberichten von Gewaltopfern ist bekannt, dass einige von ihnen bis hin zu Jahrzehnten vor Gericht für die ihnen eigentlich zustehende Entschädigung klagen. Auch der in der Petition genannte Fall David C. (dessen Geschichte darüber hinaus nun Erwähnung in der Aktuellen Ausgabe Forum Opferhilfe, fand), führte das Verfahren 10 Jahre lang, bis er nicht mehr konnte und sich schlussendlich suizidierte. Obwohl eine vorsätzliche, rechtswidrige Gewalttat vorlag und in allen Arztbriefen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden ist, wurde diese in den Gutachten aberkannt. 

Warum dies geschieht, welche Problematik dem zugrunde liegt und weswegen sich diese auch im SGB XIV nicht ändern wird, möchte ich daher gerne erläutern. 

Quellen:

1 https://forum-opferhilfe.de/oeg-laender/ 

2 https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/forum-opferhilfeausgabe02- 22web.pdf 

 

 

b) Zugrundeliegende Problematik der Verfahrensführung 

Bezugnehmend auf die Literatur3 von Prof. Dr. Jörg Fegert (Traumaforscher, Ärztl. Direktor der Universitätsklinik Ulm (Kinder- und Jugendpsychiatrie/psychotherapie), Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (BMFSFJ), u.v.m.) ist festzustellen, dass die Ablehnungsmentalität bei Opferentschädigungsverfahren bereits in der Nachkriegszeit ihren Ursprung hat und bis heute fortgeführt wird. 

Im Rückblick auf die Historie des staatlichen Versorgungssystems für Kriegsgeschädigte schlägt Jörg Fegert den Bogen zur heutigen Situation psychisch traumatisierter Menschen. Psychische Störungen nicht als Folge traumatischer Ereignisse anzuerkennen und entsprechende Hilfsangebote zu machen hat fatale Konsequenzen, wie wir beim Umgang mit Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend sexuellen Missbrauch erlebt haben, sahen und sehen. 

Der zermürbende und oft aussichtslose Kampf um Entschädigungen oder um Therapie, der sie zu Bittstellern macht, ist eine weitere Stigmatisierungserfahrung. 

Aber Betroffene sprechen von einem Schritt zur Herstellung von Gerechtigkeit, wenn sie die Anerkennung ihres Leids erfahren und materielle Hilfen als einen Ausgleich für entgangene Lebenschancen und Therapien im benötigten Umfang erhalten. 

Die Schwierigkeiten beim Ringen um Gerechtigkeit hat Jörg Fegert in diesem Buch eindrücklich beschrieben. Er fordert uns damit auf, sie zu überwinden, den politischen Willen zur Verbesserung der Hilfesysteme zu fassen und sich als Gesellschaft endlich um einen verständnisvollen Umgang mit den Betroffenen zu bemühen. 

Denn wir können Geschehenes nicht ungeschehen machen, aber wir dürfen nicht wegsehen und müssen erlebtes Leid anerkennen. All unser Wirken muss darauf abzielen, Teilhabe, also Dazugehören in Gemeinde und Gesellschaft, zu ermöglichen. 

Wichtig dabei sind mir nicht nur unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit, sondern auch die belastenden Folgen des Prozeduralen im Umgang mit Entschädigungsansprüchen, sozusagen die mühsamen Wege auf dem Weg zum Recht und wie wenig dieser mit der gewünschten umfassenden Gerechtigkeit und Anerkennung zu tun haben. Zentral dabei ist die generelle Infragestellung von Äußerungen Betroffener und die Stigmatisierung derjenigen, die unter psychischen Folgen leiden, als konstitutionell schwache Personen, die ohnehin Schwierigkeiten im Leben gehabt hätten, oder sogar als Simulanten, welche sich Befreiung aus einer belastenden Kriegssituation oder Entschädigung erschleichen möchten. Es geht mir also auch um die systematische Stigmatisierung Betroffener. 

Mich hat bei meiner Auseinandersetzung mit der Historie unseres sozialen Entschädigungsrechts bewegt und berührt, wie positive Absichten, nach dem Ersten Weltkrieg versehrte Menschen wieder am Alltag teilhaben zu lassen, doch wenig gegen das Leid und den nicht gehörten Wunsch nach Anerkennung ausrichten konnten. 

Die besondere Diskriminierung der psychischen Traumatisierungen bei der Anerkennung ihres Leids ist augenfällig. Vielleicht erleichtert der kopfschüttelnde Blick auf den historischen Umgang mit den psychisch traumatisierten des 1. Weltkriegs oder mit den Überlebenden aus den Konzentrationslagern auch ein Verständnis dafür, warum der heutige Rechtsweg mit der psychiatrischen Opferbegutachtung, die immer noch mit ihren Abwägungen zwischen Anlage und traumatischer Belastung in dieser Tradition steht, von vielen Betroffenen als erneuter Leidensweg wahrgenommen wird. Vielleicht lassen sich hier auch die Wurzeln erkennen, warum es der staatlichen Gemeinschaft und den Institutionen wie den Kirchen derzeit kaum gelingen mag, durch Verfahren einzelnen Betroffenen gerecht zu werden. 

Die Begutachtung und die Verfahren sollen ausschließen, dass Leistungen zu Unrecht in Anspruch genommen werden, sie fordern detaillierte Belege darüber, was den Betroffenen widerfahren ist und stellen dann quasi automatisch infrage, ob tatsächlich eine Kausalität zwischen dem heutigen Leiden und der damaligen Verletzung und Traumatisierung besteht. 

Systematische Zweifel an Aussagen von Betroffenen bis heute: 

Die größere Distanz zum gesellschaftlichen Umgang mit traumatischen Kriegserfahrungen aus dem ersten Weltkrieg und mit den Erfahrungen der KZ-Überlebenden nach dem 2. Weltkrieg lässt uns das damalige Vorgehen der Institutionen mit Unterstützungs-, Renten-, und Entschädigungsansprüchen heute kritischer bewerten. 

Jedem wird auf den ersten Blick klar, wie unmenschlich z.B. die psychiatrische Begutachtungspraxis der Entschädigungsansprüche von KZ-Überlebenden war. Dennoch braucht es lange, bis eine Rechtsannahme sich durchsetzte, dass die im Einzelfall beschriebenen Folgen tatsächlich auf die unmenschliche Behandlung in Konzentrationslagern zurückzuführen waren. 

Ähnlich verhielt es sich mit den beschriebenen „Schockschäden“ in den Schützengräben des 1.Weltkriegs, wo man den Betroffenen eine vorbestehende psychische Erkrankung oder eine gewisse konstitutionelle Labilität unterstellte, wenn sie im Krieg nicht körperlich direkt getroffen wurden, sondern aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse im Schützengraben schwerste invalidierende psychische Folgen entwickelten . 

Der im Strafrecht begründete und sinnvolle Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ wurde hier auch auf die in ihrer politischen Verantwortung herausgeforderten Staaten übertragen, sodass bis zum Beweis des Gegenteils im Einzelfall davon ausgegangen wurde, dass Krieg oder KZ-Haft gar keinen wesentlichen ursächlichen Beitrag zur Teilhabebeeinträchtigung der Betroffenen im Alltag hatten. Die Aussagen der Betroffenen und ihre Angaben, dass es sich um Folgen der traumatischen Erlebnisse handele, wurden systematisch in Zweifel gezogen. 

• Diese Mentalität setzte sich, wie oben beschrieben, bis heute fort. 

 

Quelle: 3 Anerkennung psychischer Traumafolgen, Prof. Dr. Jörg Fegert, Fachbuch, 2022, Psychiatrie- Verlag 

 

Begutachtungen werden auch weiterhin im SGB XIV erfolgen, sowie den Grad der Schädigung bestimmen. Hierin besteht jedoch eines der größten Probleme, insofern diese nicht evaluiert werden. Eine vom Weißen Ring geforderte „Clearingstelle“, welche sich insbesondere mit den Ablehnungen/ Ablehnungsbegründungen und somit einer Überprüfung dessen befasst, wurde im SGB XIV nicht mit aufgenommen. Aufgrund der bestehenden „Ablehnungsmentalität“ ist eine Evaluation allerdings unabdingbar. Trotz vorliegender bestätigender Arzt- und Therapeutenberichte, werden oftmals die resultierenden Schäden der Gewalttat nicht anerkannt. 

Auf Gründe hierfür lassen sich bereits beim Lesen der Fachliteratur (neben der bereits geschilderten Einschätzung von Prof. Dr. Fegert) schließen: 

So wird beispielsweise im Buch (neurowissenschaftliche Begutachtungen, Widder/Gaidzik, Thieme 2018, S.600, Kap. 48.2) aktiv auf ein LSG-Urteil (L6 VG 4 685/14) verwiesen, in welchem Diagnostiken (der posttraumatischen Belastungsstörung) von behandelnden Ärzten und Therapeuten nicht zwingend der Beweiswürdigung zugrunde zu legen sind und somit den Sachverständigen eine höhere Beweiskraft zukommt. Ebenso werden darin „Flashbacks“ als „oftmals irrtümlich diagnostiziert“ bezeichnet und als normale Erinnerungen an ein traumatisches Ereignis dargestellt, ohne dass dies laut Horowitz 1986 einen pathologischen Wert habe, sondern vielmehr ein natürlicher Verarbeitungsmodus auf emotional aufwühlende Lebensereignisse sei. 

Die anerkannten wissenschaftlichen medizinischen Standards betrachten dies jedoch anders4,5: (bereits die Definition einer posttraumatischen Belastungsstörung widerlegt diese Annahme: „Verzögerte oder protrahierte Reaktion, die innerhalb von 6 Monaten nach einem traumatischen, emotional belastenden Ereignis eintreten kann. Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zählt somit zu den spezifischen Traumafolgestörungen. Gekennzeichnet ist sie durch eine Erschütterung des Selbst- und Weltbildes. Leitsymptome sind ein Wiedererleben des Traumas („Flashbacks“), Vermeidung traumaassoziierter Stimuli und Hyperarousal. 

In der oben genannten Fachliteratur von Widder/Gaidzik wird somit eines der wesentlichen Leitsymptome einer PTBS (wie beispielsweise Flashbacks) als eine natürliche Reaktion auf emotional aufwühlende Ereignisse bagatellisiert. Ebenso stellen „Flashbacks“ Diagnostikkriterien einer PTBS in der ICD 10/ ICD 11 und DSM V dar. 

Die sogenannten „emotional aufwühlenden Lebensereignisse“ sind ebenfalls klar definiert: „Der Betroffene war einem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das bei nahezu jedem Menschen tiefe Verzweiflung auslösen würde.“ (Kriterium A, ICD 10) 6 

Obwohl eine Rezension von Prof. Dr. Harald Dreßing existiert7 , in welcher von der Verwendung der Fachliteratur (Widder/Gaidzik) zur psychiatrischen Begutachtung abgeraten wird, da diese nicht den anerkannten Kriterien (nach ICD 10/ DSM V) entspricht, erfährt diese dennoch in der Praxis Anwendung. -> mit eklatanten Folgen 

Quellen:

4 https://www.amboss.com/de/wissen/Reaktionen_auf_schwere_Belastungen_und_Anpassungsst%C3%B6run gen/ 

5 https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/051-027 6 WHO, ICD 10 (ICD= International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 

7 https://www.socialnet.de/rezensionen/25945.php 

 

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang ebenso Kapitel 7 (Widder/Gaidzik) zur Beurteilung der Beschwerdenvalidität (um sich eine Vorstellung dessen machen zu können) – Zitation: 

„Einführung in das Thema Die Vortäuschung psychischer Krankheiten wird schon im Alten Testament beschrieben, als David auf der Flucht nicht erkannt werden wollte: „Darum stellte er sich wahnsinnig und tobte, als man ihn festhalten wollte. Er kritzelte auf die Torflügel und ließ Speichel in seinen Bart laufen.“ (1.Samuel 21,11). Meist diente die Vortäuschung von Krankheiten aber dazu, dem Militärdienst zu entgehen. So versuchte die deutsche Abwehr, das neurologische Fachgebiet betreffend, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs durch Abwerfen von Flugblättern mit detaillierten Handlungsanleitungen („How to produce a temporary paralysis“) alliierte Soldaten dazu zu ermuntern, durch nächtlichen Druck auf den Sulcus ulnaris (eigene Anmerkung aufgrund med. Vorbildung: auch als „Musikerellenbogen“ bekannt), bzw. das Fibulaköpfchen (Anm.: oberes Wadenbein/ Lokalisation des Nervus Peroneus/ Nerv) Ulnaris- und Peroneusparesen zu verursachen. Aber auch humoristische Beispiele sind zu nennen: In dem 1954 erschienenen Buch „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, beschreibt Thomas Mann eingehend die Vortäuschung einer Epilepsie bei der militärischen Musterungsuntersuchung und Walther Matthau und Jack Lemmon versuchten sich 1966 in dem Film mit dem beziehungsreichen Titel „Meet Whiplash Willie“ als Versicherungsbetrüger anhand einer vorgetäuschten Halsmarkverletzung. Die Klärung der Frage, ob und inwieweit die von zu Begutachtenden geklärten Beschwerden und Funktionsstörungen tatsächlich auch bestehen, stellt eine- wenn nicht die- Kernaufgabe jeder ärztlichen Begutachtung dar. Begutachtungsaufträgen liegt in der überwiegenden Zahl der Fälle der Wunsch des Probanden nach einer materiellen und/ oder immateriellen Entschädigung zugrunde. Darum bedarf es wenig Fantasie, sich auszumalen, dass das Spektrum der dabei dargebotenen Symptome von authentischen Beschwerdendarstellungen bis hin zu grober Vortäuschung körperlich-seelischer Funktionsstörungen reicht. 

Zusätzlich kompliziert wird die Situation dadurch, dass nicht selten Versorgungswünsche mit realen Beschwerden verknüpft sind. So wies Fabra auf das häufige Zusammentreffen von 3 Faktoren hin: 

• Tatsächlich bestehende Beschwerden 

• Nach längerer Arbeitsunfähigkeit nicht mehr vorhandener oder nicht mehr leidensgerechter Arbeitsplatz 

• Iatrogene Förderung der Krankenrolle durch die behandelnden Ärzte Insbesondere wird Bezug zur Simulation und Aggravation genommen: Simulation: absichtliche reflektierte Vortäuschung von Beschwerden oder Störungen zum Zwecke einer externalen Zielerreichung 

Aggravation: Beschwerdenübertreibung oder -ausweitung; tatsächlich vorhandene Symptome werden zur Zielerreichung verstärkt 

Die Aggravation ist in der Begutachtungssituation relativ häufig zu beobachten – Bewusstseinsnahe Aggravation: Aggravation zur Erlangung sozialer Vorteile – Bewusstseinsferne Aggravation: im Rahmen eines psychischen Krankheitsbildes wie z.B. einer dissoziativen oder somatoformen Störung (als psychische Störung aufgefasste Befindlichkeits- und Verhaltensstörungen, die sich in Form körperlicher Symptome oder Krankheiten präsentieren) Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass bereits die Zuverlässigkeit der diagnostischen Einschätzung zumindest bei psychiatrischen Begutachtungen nur wenig befriedigend ist.“

 „Sekundärer Krankheitsgewinn: Der sekundäre Krankheitsgewinn besteht in sozialen Vorteilen durch das Kranksein. Diese können sich sowohl immateriell […]- einschließlich der Möglichkeit zur Entlastung von unangenehmen Aufgaben und Pflichten- als auch materiell in Form von Rente oder Entschädigung ausdrücken.“ – Benutzt ein Kranker sein Leiden in erkennbarer und gezielter Weise „bewusstseinsnah“ zur Erlangung krankheitsferner Zwecke, ist dies als Vortäuschung zu interpretieren. Das muss ein Versagen von Rente und/ oder Entschädigung zur Folge haben.“ 

➔ Fazit: mit dieser Einstellung ist es nicht verwunderlich, dass zahlreiche Schäden, vor allem psychischer Art negiert werden und resultierend Klageverfahren folgen. Ungeachtet bleibt hierbei allerdings das Recht auf soziale Entschädigung, wenn gesundheitliche Schäden aufgrund einer Gewalttat entstanden sind. Eine solche „Philosophie“ wird sich allerdings nicht ausschließlich durch eine Gesetzesänderung ändern, weswegen eine Monitoringstelle auf Landesebene dringend erforderlich ist, welche die Partizipation von Gewaltopfern, doch ebenso behandelnden Ärzten, Therapeuten, sowie vertretenden Anwälten ermöglicht, um Missstände anbringen zu können, wenn diese in der Praxis erfahren werden. 

 

 

c) Weitere Bezugnahme zum SGB XIV 

Im SGB XIV wird ein „erleichtertes Verfahren“ eingeführt werden, in welchem bereits vor der endgültigen Entscheidung des Antrages, eine Behandlung in der Traumaambulanz, sowie die Begleitung durch ein Fallmanagement möglich sein wird. Zeitliche Bescheidsvorgaben existieren über die sozialrechtlichen Untätigkeitsklagen hinaus jedoch nicht. 

Da das Fallmanagement allerdings seitens des Versorgungsamtes durchgeführt wird, besteht hierin ein Problem, da keine externe Überprüfung der Umsetzung, sowie des Umganges mit Betroffenen erfolgt. Wie der Weiße Ring bereits ausführte, sind die Verfahren unsensibel und ohne Rücksicht auf Traumatisierungen stattfindend8 . Obwohl die Opferschutzrichtlinie (2012/29/EU), sowie die UNMenschenrechtskommission (2000) bereits vorgeben, dass Opfer von Gewalttaten und deren Angehörige (z.B. bei Mord- oder Tötungsdelikten) keinesfalls im Rahmen der Wiedergutmachungs- /Entschädigungsverfahren einer sekundären Viktimisierung ausgesetzt sein sollten, wird dies dennoch bislang als „legitim“ erachtet. Eine sekundäre Viktimisierung ist hier zu unterscheiden von einer Retraumatisierung. Sie bedeutet, dass ein weiterer Schaden durch die Reaktionen des Umfeldes stattfindet, insofern das Opfer erneut zu einem Opfer degradiert wird (beispielsweise wenn vorhandene Schäden (belegt durch Arztbriefe) oder sogar die Tat/en negiert werden), was bis zum Zusammenbruch, Krisen oder Suizidalität seitens der Betroffenen führen kann, zumal diese Reaktionen erneute Hilflosigkeit und Ohnmacht auslösen. 

Dienstaufsichtsbeschwerden sind wenig erfolgsversprechend, insofern sie in derselben Behörde behandelt werden, Petitionen oftmals überfordernd, sowie ggf. ein Amtshaftungsverfahren, ohne Begleitung der Betroffenen, kaum durchführbar, zumal Gewaltopfer nicht selten neben Strafverfahren, weiteren Gerichtsverfahren (wie bspw. im Sozial-, Zivil-, Familien-, Verwaltungs-, oder/ und Arbeitsrecht), ausgesetzt sind.9 

Wenn jedoch Unrecht widerfahren ist, so besteht ein Bedürfnis, dieses anzubringen, zu evaluieren und bestenfalls Hilfe zu erlangen oder ein externes Einschreiten zu erwirken. 

Auch der Verweis im „Handbuch psychosoziale Prozessbegleitung“ zur Opferentschädigung, ist besorgniserregend, doch der Realität und Notwendigkeit entsprechend9 : „Im Hinblick auf die bisherige Praxis der Opferentschädigung, die sich für die Antragssteller eher als ein Verfahren mit großer Intransparenz, vielen Hindernissen und wenig Erfolgsaussichten darstellen, sollten sich die Fachkräfte der psychosozialen Prozessbegleitung besser darauf beschränken, die rechtliche Unterstützung von fachkompetenten Anwälten zu vermitteln. Die in vielen Fällen erforderlichen Klagen gegen Ablehnungsbescheide der Verwaltungsbehörden lassen sich letztlich nur auf diesem Wege erfolgreich bewerkstelligen.“ 

In §117 SGB XIV, wird die Beweiserleichterung aufgeführt, doch ist fraglich, ob diese in der Praxis ausreichend Anwendung erfahren wird. Bereits in den bisherigen Opferentschädigungsverfahren ist eine solche Beweiserleichterung in §15 KOVVfG begründet, an der Umsetzung dessen scheitert es allerdings oftmals. 

Dies erläuterte bereits eine Studie zum OEG der Hochschule Fulda (2011) 10: „Nach § 15 VfG KOV (Verfahrensgesetz der Kriegsopferversorgung) kann außerdem die Aussage des Opfers als Nachweis dienen, wenn diese glaubhaft erscheint und andere Indizien fehlen (Glaubhaftmachung). Davon wird selten Gebrauch gemacht.“ 

Die Einschätzung des Weißen Rings, weswegen die Unterstützung durch das Opferentschädigungsgesetz scheitert11 , entspricht auch meinen Erfahrung durch den Austausch mit zahlreichen anderen Gewaltopfern. Aufgrund dessen, dass jedoch das SGB XIV keine ausreichend umfangreiche Evaluation der Verwaltungsverfahren anbietet, wäre es wichtig, diese auf Landesebene mittels einer Monitoringstelle, inkl. Partizipation, durchzuführen: 

„Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) erfährt häufig Kritik. Diese Kritik bezieht sich auf den Ablauf der Verwaltungsverfahren, die Beweisanforderungen und die Anforderungen an den Nachweis des Ursachenzusammenhangs. Bis auf einige wenige Ausnahmen sind es nicht die Bestimmungen des OEG oder des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), insbesondere nicht der Leistungskatalog des BVG, die verhindern, dass Opfer die ihnen zustehenden und dringend benötigten Hilfen erhalten. Der Referentenentwurf muss sich daran messen lassen, ob er für diese Probleme Lösungen anbietet. Denn sie sind in der überwiegenden Anzahl der Fälle die Ursache, dass Opfer nicht die ihnen zustehenden Leistungen erhalten.“ 

Ebenfalls bestätigen dies die Ergebnisse der Recherchen des Weißen Rings (OEG-Report), welche 2022 veröffentlicht wurden. Es bestehen somit 7 Hauptprobleme: 

  1. Kaum jemand kennt das Gesetz.
  2. Nur wenige Opfer stellen einen OEG-Antrag.
  3. Der Staat lehnt die meisten Anträge ab.
  4. Die Erfolgsaussichten hängen vom Bundesland ab, das über den Antrag entscheidet.
  5. Die OEG-Verfahren sind eine Belastung für die Opfer.
  6. Der Verwaltungsakt nimmt kaum Rücksicht auf traumatisierte Menschen.
  7. Die Datenlage ist zu lückenhaft, um Verbesserungen zu erarbeiten. 

Quellen:

8 https://forum-opferhilfe.de/oegreport-sieben-fakten-zum-oeg/ 

9Handbuch psychosoziale Prozessbegleitung, S.67-68, Andrea Behrmann, Klaus Riekenbrauk, Iris Stahlke, Gaby Temme, Verlag Barbara Budrich (2022) 

10 https://fuldok.hsfulda.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/144/file/PgPapers_2011_02_Grundel_Blaettner.pdf (S.16) 

11https://weisser-ring.de/media-news/meldungen/05-02-2019) 

 

 

d) Aussage von Kerstin Claus (UBSKM) zum SGB XIV 

Kerstin Claus (UBSKM) äußerte sich in einem Interview mit dem Weißen Ring (welches in der aktuellen Ausgabe des Forums Opferhilfe erschienen ist), folgendermaßen zum SGB XIV: 

Für Betroffene von sexuellem Missbrauch ist staatliche Opferentschädigung ein großes Thema, das entsprechende Gesetz wurde novelliert und tritt 2024 in Kraft. Ist 2024 endlich alles gut? 

„Das ist ein absolut wichtiges Thema, bei dem ich weiterhin Forderungen aufstellen werde. Das Gesetz ist zwar reformiert, das heißt aber nicht automatisch, dass alles besser wird und man nichts mehr anfassen muss. Ich bin der festen Meinung, dass die Neuerungen konsequent evaluiert werden müssen. Auch gibt es bisher keine Feedbackschleifen, in denen Betroffene im Verfahren gefragt werden: „Wie können Verfahren verbessert werden oder war die Beratung durch das Versorgungsamt hilfreich?“ Die quantitative und qualitative Evaluation ist aus meiner Sicht bei der Reform nicht ausreichend berücksichtigt worden. Für Betroffene sind das aber ganz wesentliche Fragen. Hier sehe ich die Länder in der Pflicht, zu erfassen und auszuwerten, was in ihren Behörden passiert.“ 12 

Quelle:

12 https://forum-opferhilfe.de/ubskm-kerstin-claus-interview-oeg-missbrauch/

 Dieses Interview ist ebenfalls in der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift „Forum Opferhilfe“ des Weißen Rings (s.h. Anlage) enthalten 

 

 

3. Begründung einer externen, unabhängigen Monitoringstelle und einer ebenso unabhängigen externen Beschwerdestelle, mit Bezugnahme auf das im November 2022 veröffentlichte „National Framework for comprehensive victim support“/ Victim support Europe: 

Levent Altan (Executive Director von Victim support Europe, ehem. Mitglied der EUKommission, sowie des Justizministeriums der UK) stellte bereits fest, dass die Unterstützung, der Schutz, sowie die Entschädigung von Gewaltopfern nicht primär an den vorhandenen Gesetzen der EU-Mitgliedsstaaten scheitern, sondern vielmehr an dessen Umsetzung in der Praxis, wodurch ein Nationaler Leitfaden entwickelt und veröffentlicht worden ist. 

Er soll an dieser Stelle Erwähnung finden, da sich das Kapitel 7 mit einem externen, unabhängigen Monitoring befasst (Oversight, Monitoring, Review). 

Hieraus sind wertvolle Aspekte der geforderten externen unabhängigen Monitoringstelle zum OEG/SER, sowie der ebenso unabhängigen Beschwerdestelle für Gewaltopfer und Angehörige von Mord- und Tötungsdelikten zu entnehmen. Vieles kann auf die Überprüfung der Umsetzung des Bundesgesetzes auf Landesebene übertragen werden. Die Artikel wurden aus dem Englischen in’s Deutsche übersetzt, das Original ist hier einsehbar (https://victimsupport.eu/wpcontent/files_mf/1669047428NationalFrameworkforComprehensiveVict imSupport.pdf): 

• Um den Erfolg eines nationalen Rahmens sicherzustellen, reicht es nicht aus, dass Dienste eingerichtet werden; auch müssen Mechanismen vorhanden sein, um diese Dienste regelmäßig zu überprüfen und zu überwachen, um ihnen zu helfen, ihre Ziele zu erreichen, Standards zu pflegen, sowie Verbesserungen zu erwirken. 

• Die Position ist unabhängig 

• Die Position kooperiert mit anderen Akteuren (key stakeholders). Der Erfolg ist von einer großen Vielfalt dieser abhängig: Regierung, politische Entscheidungsträger, Politiker, Zivilgesellschaft, Opfer 

• Sobald eine nationale Struktur zur Unterstützung von Opfern (national support framework) eingerichtet wurde, sollte sie regelmäßig überprüft und evaluiert werden, um zu sehen, ob das System funktioniert und wie es verbessert werden kann. Evaluationen fließen dann wiederum in die Politik ein, wobei die Struktur aktualisiert wird. -> hervorragend auf das OEG/ SGB XIV in seiner Umsetzung auf Landesebene, anwendbar, ebenso wie auf alle Bereiche, welche die Beschwerdestelle für Gewaltopfer und Angehörige von Mord- und Tötungsdelikten betreffen können. 

• Sowohl quantitative als auch qualitative Daten sollten überprüft werden, inkl. Daten darüber, warum bestimmte Dinge nicht funktionieren oder nicht passieren, sowie Meinungen über die Qualität des Systems. Es ist entscheidend, dass Aufsichts- und Überprüfungsmechanismen inklusive Konsultationen beinhalten, um sicherzustellen, dass Opfer, ebenso wie opferzentrierte NGOs (NROs) Teil des Überprüfungs- und Verbesserungsprozesses sind. Das Versagen, sie in solche Prozesse einzubeziehen, führt zu schwächeren oder unwirksamen Lösungen. (It is critical that oversight and review mechanisms incorporate inclusive consultation to ensure that victims as well as victim-centric NGOs are part of the process of review and improvement. Failure to include them in such processes inevitably leads to weaker or ineffective solutions.) 

• Strenge ethische und deontologische Richtlinien sollten beim Einbeziehen von Opfern während der Evaluationsprozesse befolgt werden. Sekundäre Viktimisierung und Retraumatisierung sollten auf jeden Fall vermieden werden. 

• Externe Evaluationen beziehen sich auf die Bewertung durch eine externe Dienstleistungsstelle, welche eine umfassende Methodik entwickelt, um die positive Wirkung einer Intervention zu betrachten und verbesserungswürdige Bereiche zu identifizieren. Als Teil des Evaluationsprozesses, sollte Opfern die Möglichkeit gegeben werden, sich über die Qualität oder die Art der Unterstützung, welche sie erhielten, beschweren zu können 

• Ein qualitativer Beschwerdeprozess, sollte etabliert werden, welche die folgenden Prinzipien beinhaltet: 

• opferzentriert: Das System muss Opfer von sekundärer Viktimisierung und weiteren Schäden beschützen 

• Sichtbarkeit und Zugänglichkeit: der Beschwerdeprozess kann durch einen leichten Zugang und Verständlichkeit, vereinfacht werden 

• Reaktionsfähigkeit: schnelle Bestätigung der Beschwerde eines Opfers, es mit der geringsten possiblen Verspätung adressieren, und das Opfer durch den Prozess informiert halten 

• Objektivität und Fairness: Zeigen, dass Beschwerden objektiv, gerecht und unvoreingenommen behandelt werden • Vertraulichkeit: Alle personenbezogenen Daten im Zusammenhang mit einer Beschwerde müssen vertraulich behandelt werden, d.h. getrennt von den Daten aufbewahrt und innerhalb der Organisation weitergegeben werden 

• Abhilfe, Überprüfung, Rechenschaftspflicht und kontinuierliche Verbesserung: Das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens sollte den Beschwerden des Opfers abhelfen und eine ständige Verbesserung der Dienste ermöglichen. Sowohl negatives als auch positives Feedback sollte gefördert werden, um sicherzustellen, dass ein qualitativ hochwertiger Dienst entwickelt wird, der die Bedürfnisse der Opfer unterstützt und die Rolle der Freiwilligen und Angestellten, die mit Opfern arbeiten, anerkennt 

• Während die Evaluation in Opferunterstützungsdiensten äußerst wichtig ist, sollten ähnliche Feedback- oder Beschwerdemechanismen in anderen Sektoren etabliert werden, welche in regelmäßigem Kontakt mit Opfern stehen, um die Erfahrungen und Zufriedenheit der Opfer zu bewerten 

➔ 2023 wird darüber hinaus auf EU-Ebene die bestehende Opferschutzrichtlinie (2012/29/EU) überarbeitet, da die Bisherige in der Praxis der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend umgesetzt und als vollumfänglich erachtet wird. Deutschland wurde in der Vergangenheit hierzu ebenfalls gerügt. 

Weitere Begründung für die externe unabhängige Beschwerdestelle für Gewaltopfer und Angehörige von Mord- und Tötungsdelikten: 

Im Oktober 2022 wurde Deutschland zuletzt hinsichtlich seines Versagens im Gewaltschutz seitens des Europarats gerügt (nach Veröffentlichung des GREVIO Staatenberichts zur Istanbulkonvention). Dies sollte auch auf Landesebene vergegenwärtigt und an Lösungen gearbeitet werden. Eine dieser wäre die Errichtung einer unabhängigen, externen Beschwerdestelle, an welche sich Betroffene wenden können. Empfehlenswert wäre hierzu jedoch ein niedrigschwelliger Zugang, um eine umfangreiche Evaluation, doch auch ein Handeln ermöglichen zu können. 

In der Praxis bestehen zahlreiche Missstände in jeglichen vorstellbaren Bereichen und Verfahren, wobei nicht immer die Bestreitung des Rechtsweges möglich ist. Sei es durch zusätzliche Kosten, der Unmöglichkeit, in höheren Instanzen zu klagen, der Unzumutbarkeit, fehlendes Wissen, u.v.m. Auch hinsichtlich der Istanbulkonvention ist keine Mitteilung oder Unterstützung möglich, wenn gegen diese in der Praxis verstoßen wird. Im Juli wurde hierzu bei der deutschen Richterakademie angefragt, doch ohne jemals eine Antwort hierauf zu erhalten : (https://fragdenstaat.de/anfrage/istanbulkonvention-moeglichkeiten-desrechtlichenvorgehens-bei-verstoss-gegen-artikel-dieser/) 

Ebensowenig ist es als Einzelperson möglich, Missstände bei GREVIO oder dem dt. Institut für Menschenrechte anbringen zu können, wodurch ein gewisses Dunkelfeld besteht, wenn Opferhilfsinstitutionen diese nicht erwähnen. Es handelt sich hierbei nicht um eine Beratungs- oder Koordinierungsstelle, sondern eine explizite Beschwerdestelle mit Handlungskompetenzen bei schwerwiegenden Verstößen. 

Auch in Bayern existieren bspw. Missstände, welche gegen die Istanbulkonvention verstoßen, wobei Rechtsverfahren hiergegen oftmals nicht möglich sind, ebensowenig das Anbringen dessen als Missstand, trotz Kontaktaufnahmen zu zahlreichen Institutionen, Opferunterstützungsdiensten, der Koordinierungsstelle, etc. Somit besteht keine Beschwerde-, Evaluations- und unterstützende Handlungsmöglichkeit in solchen Fällen. Gudrun Stifter ist als ein Beispiel zu nennen (med. Kosten nach Vergewaltigung, Obdachlosigkeit nach der Tat, ohne in Frauenhäusern aufgenommen werden zu können). 

 

4. Proaktive Aufklärung zu den Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ Soziales Entschädigungsrecht (SER): 

• Diese soll darauf abzielen, dass jedes Opfer direkt nach der Gewalttat über seine Möglichkeiten einer Opferentschädigung erfährt 

• Es ist ebenso eine transparente, leicht verständliche Darstellung der Leistungen, inkl. Fürsorgeleistungen anzustreben 

• Informationen sollen auch durch die Behörden zur Verfügung gestellt werden , wie beispielsweise durch die Polizei, Staatsanwaltschaft, Rathäuser, aber auch Krankenhäuser, Ärzte oder psychologische Beratungsstellen 

• Ziel ist es, den Bekanntheitsgrad der Leistungen nach dem OEG/ SGB XIV wesentlich zu erhöhen. (zumal der Weiße Ring in seiner FORSA-Umfrage feststellte, dass 76% der Befragten, das OEG nicht kennen und Entschädigungen beantragt werden können) 

Ich bitte Sie daher, die Petition positiv zu bescheiden, um eine wirkungsvolle Unterstützung für Gewaltopfer und Angehörige von Mord- und Tötungsdelikten gewährleisten zu können. 

 

Mit freundlichen Grüßen