Baden-Württemberg
- Antragsstellungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) im Vergleich zu den in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Gewalttaten (Zeitraum: 2008-2023)
- Erledigungen gestellter Anträge (Zeitraum: 2008-2023)
- Entscheidungen erledigter Anträge (Zeitraum: 2008-2023)
- Analyse der Anerkennungen (Zeitraum: 2008-2023)
- Inkorrekte Statistiken/ Baden-Württemberg (2016, 2017)
1. Gestellte Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ 2008-2023
Nachdem bislang keine Vergleichsanalyse aller existierenden Landesstatistiken zur Opferentschädigung stattgefunden hatte, soll im Folgenden hierauf, unter Bezugnahme der Daten Baden-Württembergs, welche vonseiten des Weißen Rings jährlich erhoben und veröffentlicht wurden, eingegangen werden. Aktuell umfasst dies den Zeitraum von 2008 bis einschließlich 2023 (als zuletzt, im Februar 2025, erschienene Statistik ). Landesspezifische Daten zum SGB XIV (welches nachfolgend des vorherigen Opferentschädigungsgesetzes, am 01.01.2024 in Kraft trat), liegen bislang, aufgrund technischen Versagens der IT-Infrastruktur, nicht vor (Stand: März 2025), wodurch hierauf nicht eingegangen werden kann.
In der rechts aufgeführten Statistik sind die niedrigen Antragsstellungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ grau, im Vergleich zu den in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Gewalttaten/blau, abgebildet.
Daten/ Analyse:
In Baden-Württemberg war die Antragsstellungsquote (OEG)/ im Vergleich zur PKS, (von 2008-2023), zwischen 8,13% (im Jahr 2023) und 15,11% (im Jahr 2008) zu verzeichnen.
Demnach stellten noch im Jahr 2008 bei 19.197 erfassten Gewalttaten (PKS), 2900 Opfer in Baden-Württemberg einen Antrag auf Opferentschädigung (15,11%), wohingegen 2023 ein Negativrekord, mit 1663 gestellten Anträgen bei 20459 erfassten Gewalttaten (8,13%), eintrat. Wie die Anträge schlussendlich entschieden wurden, ist unten ausgeführt.
Fazit: aufgrund der nicht erfassten hohen Dunkelziffer in der polizeilichen Kriminalstatistik, sowie der tatsächlichen Opferwerdungen, lässt sich feststellen, dass zuletzt/ 2023, <8,13% der Gewaltopfer einen Antrag auf Opferentschädigung stellten.

Die polizeiliche Kriminalstatistik/ PKS umfasst lediglich das Hellfeld von Straftaten und somit jene, welche angezeigt und schlussendlich vonseiten der Polizei an die Staatsanwaltschaft übermittelt wurden. Nicht sichtbar ist hierin jedoch u.a. das hohe Dunkelfeld von Sexualdelikten, sowie sexuellen Kindesmissbrauchs, sodass von einer weitaus höheren Kriminalitätsrate/ Opferwerdung ausgegangen werden kann und sich demnach das Verhältnis zueinander ändert. Ebenso stellt eine Strafanzeigenstellung keine Voraussetzung für die Antragsstellung/ Opferentschädigung dar (was bspw. häufiger im Falle von Sexualdelikten, Verjährung der Tat, bei ehemals betroffenen Kindern, Tod des Täters… auftritt). Gleichwohl ist der Vergleich zur PKS angezeigt, nachdem sowohl in der Bevölkerung, als auch unter Gewaltopfern unzureichende Kenntnis hinsichtlich der Existenz von Opferentschädigungsansprüchen besteht (weitere Gründe sind unterhalb der Grafik abgebildet), sodass bereits hierdurch zahlreiche, potenzielle Ansprüche verwehrt bleiben oder eine Antragsstellung erst nach Jahren/ Jahrzehnten erfolgt.
- kein vorhandenes Wissen über die Existenz des Opferentschädigungsgesetzes/ SGB XIV (Vgl. FORSA-Umfrage/ Weißer Ring, Repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Thema Soziales Entschädigungsrecht/BMAS)
- Überforderung bei der Antragsstellung (z.B. Retraumatisierung durch erforderliche Tatschilderung, Umfang einzureichender Unterlagen, Einleitung von Verfahren, wenn zuvor kein Strafverfahren erfolgte, Gefühle von Ohnmacht, Angst, Ungewissheit, Scham, Einnahme der Rolle eines Bittstellers, ggf. Befragung von Zeugen, Tätern, fehlende Unterstützung/ Begleitung, Aufgabe der Privatsphäre (sowohl den Zeitraum ab der/ den Tat/en, als auch zuvor/ danach betreffend), u.v.m.
- Abraten von Fachpersonen (aufgrund der diskriminierenden Verfahrensführung, welche neben sekundären Viktimisierungen, mitunter jahrzehntelange Klageverfahren zur Folge haben.)
2. Quantitative Antragserledigungen (2008-2023)
Von den in (Abb.1) bereits erfassten Antragsstellungen, wird nun die Erledigung dieser in Abb. 2 dargestellt.
Nachdem die Dauer der Erledigung (d.h. bis zur Ausstellung des Erstbescheids oder sogenannter „Erledigung aus sonstigen Gründen“, s.h. unten), variiert und mitunter mehrere Jahre betragen kann, finden Abweichungen (bezogen auf die jeweiligen Jahresstatistiken) statt. Hierdurch ist u.a. erklärbar, weswegen eine höhere Anzahl von Erledigungen, im Vergleich zu den im selben Jahr erfolgten Antragsstellungen auftritt, da diese ebenso die Bearbeitung von Anträgen vorheriger Jahre umfasst.
Quelle: https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung
Verfahrenslänge bis zum Erhalt des Erstbescheids:
In der retrospektiv, durch das Universitätsklinikum Ulm, ausgewerteten Online-Umfrage „Dein Weg durchs OEG“ (2023), wurden die Daten von 253 Gewaltopfern hinsichtlich der Verfahrensdauer bis zum Erhalt des Erstbescheids analysiert. Diese betrug:
- bei 30% der Befragten: bis zu einem Jahr
- bei 34% der Befragten: bis zu zwei Jahren
- bei 20% der Befragten: zwei bis drei Jahre
- bei 16% der Befragten: mehr als drei Jahre

3. Entscheidungen erledigter Anträge (2008-2023)

Die entschiedenen Anträge unterteilen sich in drei Entscheidungsformen:
Beispiele hierfür sind u.a. die Rücknahme des Antrags, Übermittlung in ein anderes Bundesland (Wegzug), Tod. Nähere quantitative und qualitative Daten hierzu, sowie eine Erfassung, ob es sich um eine natürliche oder nicht natürliche Todesursache (wie etwa Suizid) handelt, werden allerdings nicht erfasst.
In Baden-Württemberg variierte die Erledigung aus sonstigen Gründen zwischen 19,75% (als niedrigsten Wert im Jahr 2008) und 30,75% (Höchstwert/ 2020).
Bezugnehmend darauf wurden im Jahr 2008, bei 2952 Antragserledigungen, 583 aus sonstigen Gründen für erledigt erklärt (19,75%).
Für das Jahr 2020 betraf dies 735 Anträge, bei zugleich 2390 Erledigungen (30,75%).
In der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug der Anteil an Erledigungen aus sonstigen Gründen 26,63%. (= 436 Anträge bei 1637 Erledigungen/ gesamt)
Die überwiegenden Entscheidungen der Anträge resultieren in einer Ablehnung, ohne jedoch die Gründe hierzu zu erfassen.
Quantitativ variiert die Ablehnungsquote erledigter Anträge zwischen 39,39% (als niedrigsten Wert/ 2017) und 46,73% (Höchstwert/ 2023).
Konkret bedeutet dies für das Jahr 2017: 911 Ablehnungen bei 2.313 erledigten Anträgen (39,39%) und für das Jahr 2023: 765 Ablehnungen bei 1.637 Antragserledigungen (46,73%). Damit wurde in der zuletzt erfassten Statistik (2023) nahezu jeder zweite Antrag auf Opferentschädigung in Baden-Württemberg abgelehnt, was einen neuen Negativrekord darstellt.
Eine Ablehnung erfolgt, wenn eines der Kriterien, bestehend aus Tatnachweis, gesundheitlicher Schädigung oder Kausalität dessen, nicht anerkannt werden.
Lediglich zwischen 26,15% (niedrigster Wert/ 2022) und 36,27% (höchster Wert/ 2011) der erledigten Anträge resultierten zwischen 2008 und 2023 in einer Anerkennung (gesamt).
Dies entspricht im Jahr 2022: 499 Anerkennungen bei 1908 erledigten Anträgen, sowie 944 Anerkennungen bei 2603 erledigten Anträgen im Jahr 2011.
Innerhalb der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug die Anerkennungsquote (gesamt): 26,63% der erledigten Anträge.
Eine Anerkennung ist allerdings nicht gleichzusetzen mit dem Erhalt von Entschädigungsleistungen, da diese erst ab einem Grad der Schädigung (GdS) von mind. 30 (GdS 25 wird aufgerundet auf GdS 30), gewährleistet werden (sogenannte „Renten“). Sofern ein GdS von 30 nicht erreicht werden konnte, besteht lediglich die Möglichkeit des Erhalts von Heilbehandlungskosten, nicht jedoch Entschädigungsleistungen, welche an die Opfer direkt gezahlt werden. Bundeslandübergreifend ist eine Gewährleistung von „Opferrenten“ mit deutlichem Abstand unterhalb des Erhalts von Heilbehandlungskosten zu verzeichnen (s.h. unten).
4. Analyse der Anerkennungen 2008-2023
Die bereits gering vorliegenden Gesamtanerkennungen (Hellgrün dargestellt), umfasst die Summe von:
- Anerkennungen mit einem GdS (Grad der Schädigung) <25 (Heilbehandlungskosten), sowie
- Anerkennungen mit einem GdS >25 (Renten/ Erhalt von monatlichen Entschädigungsleistungen)

4.1. Entscheidungen bewilligter Renten (GdS >30), 2008-2023
Der Anteil von Entscheidungen, welche Renten (und somit den hierfür Mindest-GdS von 30) implizieren, betrug in Baden-Württemberg innerhalb des Zeitraums von 2008-2023 zwischen 5,83% (minimalster Wert/ 2008) und 11,72% (maximalster Wert/ 2020).
Demnach wurden 2008 lediglich 172 Anträge, bei insgesamt 2952 Antragserledigungen, im Jahre 2020, 280 Anträge bei 2390 Erledigungen, mit einem Grad der Schädigung von mind. 30 bewilligt, sodass eine Auszahlung von Rentenleistungen an die Geschädigten erfolgte.
Im Jahr 2023 (der zuletzt erfassten Statistik), betrug das Verhältnis 9,47% (155 bewilligte Renten bei 1637 Antragserledigungen).
Quelle: Statistiken des Weißen Rings https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung

4.2. Rentenbewilligungen im Vergleich zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). 2008-2023
Wenngleich der direkte Vergleich zu den in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Gewalttaten (Hellfeld) mitunter zur Kritik führt (s.h. oben), so ist dennoch hieraus ersichtlich, wie wenige Gewaltopfer schlussendlich monatliche Entschädigungsleistungen/ Renten erhalten.
Für Baden- Württemberg betrifft dies 0,76% (2023) bis 1,63% (2020) im Vergleich zu den erfassten Gewalttaten des Hellfelds (PKS). Aufgrund des hohen Dunkelfeldes (insbesondere im Rahmen sexualisierter Gewalt, sexuellen Kindesmissbrauchs…), ist daher von einem deutlich niedrigeren Anteil auszugehen.
2023 wurden lediglich 155 Gewaltopfern „Opferentschädigungsrenten“ bewilligt bei 20.459 erfassten Gewalttaten (PKS), 2020 waren dies 280 Anerkennungen von Renten bei 17.174 erfassten Gewalttaten.
Quelle: Statistiken des Weißen Rings: https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung

5. Inkorrekte Statistiken/ Baden-Württemberg, 2016/ 2017
Bezogen auf die Anerkennungen ergibt die Summe aus Anerkennungen eines GdS <25/ Übernahme von Heilbehandlungskosten und Bewilligung laufender Versorgungsbezüge/ Renten, die Anzahl von Gesamtanerkennungen.
Bezogen auf die Statistik Baden-Württembergs des Jahres 2016 findet jedoch eine Abweichung von +11/ Heilbehandlungskosten statt:
- Anzahl von Anerkennungen (gesamt): 789
- Anzahl von Anerkennungen (GdS < 25)/ Heilbehandlungskosten: 601 (richtig wären: 590)
- Anzahl von Anerkennungen/ Renten (GdS >30): 199, unterteilt in:
- Renten für Beschädigte: 184
- Renten für Witwen, Waisen, Eltern: 15
Im Rahmen der Anerkennungen von Renten beträgt die Abweichung -3:
- Anzahl von Anerkennungen (gesamt): 758
- Anzahl von Anerkennungen (GdS < 25)/ Heilbehandlungskosten: 553
- Anzahl von Anerkennungen/ Renten (GdS >30): 202 (richtig wären: 205)
- Renten für Beschädigte: 179
- Renten für Witwen, Waisen, Eltern: 26
In Gegenrechnungen der anderen, in der Statistik erhobenen Werte, lässt sich der falsche Wert innerhalb der Rentenanerkennungen/ Bewilligung laufender Versorgungsbezüge verzeichnen. Drei Antragsbewilligungen (Renten) wurden demnach zu wenig in der Statistik erfasst.
Quelle: Statistik des Weißen Rings https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatistik2017_0_0.pdf
https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung