Hessen
- Antragsstellungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) im Vergleich zu den in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Gewalttaten (Zeitraum: 2008-2023)
- Erledigungen gestellter Anträge (Zeitraum: 2008-2023)
- Entscheidungen erledigter Anträge (Zeitraum: 2008-2023)
- Analyse der Anerkennungen (Zeitraum: 2008-2023)
- Inkorrekte Statistiken/ Hessen (2009, 2014, 2016, 2017, 2019)
1. Gestellte Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ 2008-2023
Nachdem bislang keine Vergleichsanalyse aller existierenden Landesstatistiken zur Opferentschädigung stattgefunden hatte, soll im Folgenden hierauf, unter Bezugnahme der Daten Hessens, welche vonseiten des Weißen Rings jährlich erhoben und veröffentlicht wurden, eingegangen werden. Aktuell umfasst dies den Zeitraum von 2008 bis einschließlich 2023 (als zuletzt, im Februar 2025, erschienene Statistik ). Landesspezifische Daten zum SGB XIV (welches nachfolgend des vorherigen Opferentschädigungsgesetzes, am 01.01.2024 in Kraft trat), liegen bislang, aufgrund technischen Versagens der IT-Infrastruktur, nicht vor (Stand: April 2025), wodurch hierauf nicht eingegangen werden kann.
In der rechts aufgeführten Statistik sind die niedrigen Antragsstellungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ grau, im Vergleich zu den in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Gewalttaten/blau, abgebildet.
Daten/ Analyse:
In Hessen war die Antragsstellungsquote (OEG)/ im Vergleich zur PKS, (von 2008-2023), zwischen 9,94% (im Jahr 2008) und 21,36% (im Jahr 2013) zu verzeichnen.
Demnach stellten noch im Jahr 2013 bei 12.601 erfassten Gewalttaten (PKS), 2.691 Opfer in Hessen einen Antrag auf Opferentschädigung (21,36%), wohingegen 2008 ein Negativrekord, mit 1.448 gestellten Anträgen bei 14.563 erfassten Gewalttaten (9,94%), eintrat. Wie die Anträge schlussendlich entschieden wurden, ist unten ausgeführt.
In der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug die Antragsstellungsquote 11,55% (1.769 Antragsstellungen bei 15.317 erfassten Gewalttaten).
Fazit: aufgrund der nicht erfassten hohen Dunkelziffer in der polizeilichen Kriminalstatistik, sowie der tatsächlichen Opferwerdungen, lässt sich feststellen, dass zuletzt/ 2023, <11,55% der Gewaltopfer einen Antrag auf Opferentschädigung stellten.

Die polizeiliche Kriminalstatistik/ PKS umfasst lediglich das Hellfeld von Straftaten und somit jene, welche angezeigt und schlussendlich vonseiten der Polizei an die Staatsanwaltschaft übermittelt wurden. Nicht sichtbar ist hierin jedoch u.a. das hohe Dunkelfeld von Sexualdelikten, sowie sexuellen Kindesmissbrauchs, sodass von einer weitaus höheren Kriminalitätsrate/ Opferwerdung ausgegangen werden kann und sich demnach das Verhältnis zueinander ändert. Ebenso stellt eine Strafanzeigenstellung keine Voraussetzung für die Antragsstellung/ Opferentschädigung dar (was bspw. häufiger im Falle von Sexualdelikten, Verjährung der Tat, bei ehemals betroffenen Kindern, Tod des Täters… auftritt). Gleichwohl ist der Vergleich zur PKS angezeigt, nachdem sowohl in der Bevölkerung, als auch unter Gewaltopfern unzureichende Kenntnis hinsichtlich der Existenz von Opferentschädigungsansprüchen besteht (weitere Gründe sind unterhalb der Grafik abgebildet), sodass bereits hierdurch zahlreiche, potenzielle Ansprüche verwehrt bleiben oder eine Antragsstellung erst nach Jahren/ Jahrzehnten erfolgt.
- kein vorhandenes Wissen über die Existenz des Opferentschädigungsgesetzes/ SGB XIV (Vgl. FORSA-Umfrage/ Weißer Ring, Repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Thema Soziales Entschädigungsrecht/BMAS)
- Überforderung bei der Antragsstellung (z.B. Retraumatisierung durch erforderliche Tatschilderung, Umfang einzureichender Unterlagen, Einleitung von Verfahren, wenn zuvor kein Strafverfahren erfolgte, Gefühle von Ohnmacht, Angst, Ungewissheit, Scham, Einnahme der Rolle eines Bittstellers, ggf. Befragung von Zeugen, Tätern, fehlende Unterstützung/ Begleitung, Aufgabe der Privatsphäre (sowohl den Zeitraum ab der/ den Tat/en, als auch zuvor/ danach betreffend), u.v.m.
- Abraten von Fachpersonen (aufgrund der diskriminierenden Verfahrensführung, welche neben sekundären Viktimisierungen, mitunter jahrzehntelange Klageverfahren zur Folge haben.)
2. Quantitative Antragserledigungen (2008-2023)
Von den in (Abb.1) bereits erfassten Antragsstellungen, wird nun die Erledigung dieser in Abb. 2 dargestellt.
Nachdem die Dauer der Erledigung (d.h. bis zur Ausstellung des Erstbescheids oder sogenannter „Erledigung aus sonstigen Gründen“, s.h. unten), variiert und mitunter mehrere Jahre betragen kann, finden Abweichungen (bezogen auf die jeweiligen Jahresstatistiken) statt. Hierdurch ist u.a. erklärbar, weswegen eine höhere Anzahl von Erledigungen, im Vergleich zu den im selben Jahr erfolgten Antragsstellungen auftritt, da diese ebenso die Bearbeitung von Anträgen vorheriger Jahre umfasst.
Quelle: https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung
Verfahrenslänge bis zum Erhalt des Erstbescheids:
In der retrospektiv, durch das Universitätsklinikum Ulm, ausgewerteten Online-Umfrage „Dein Weg durchs OEG“ (2023), wurden die Daten von 253 Gewaltopfern hinsichtlich der Verfahrensdauer bis zum Erhalt des Erstbescheids analysiert. Diese betrug:
- bei 30% der Befragten: bis zu einem Jahr
- bei 34% der Befragten: bis zu zwei Jahren
- bei 20% der Befragten: zwei bis drei Jahre
- bei 16% der Befragten: mehr als drei Jahre

3. Entscheidungen erledigter Anträge (2008-2023)

Die entschiedenen Anträge unterteilen sich in drei Entscheidungsformen:
Beispiele hierfür sind u.a. die Rücknahme des Antrags, Übermittlung in ein anderes Bundesland (Wegzug), Tod. Nähere quantitative und qualitative Daten hierzu, sowie eine Erfassung, ob es sich um eine natürliche oder nicht natürliche Todesursache (wie etwa Suizid) handelt, werden allerdings nicht erfasst.
In Hessen variierte die Erledigung aus sonstigen Gründen zwischen 8,83% (als niedrigsten Wert im Jahr 2010) und 31,48% (Höchstwert/ 2019).
Bezugnehmend darauf wurden im Jahr 2010, bei 1.801 Antragserledigungen, 159 aus sonstigen Gründen für erledigt erklärt (8,83%).
Für das Jahr 2019 betraf dies 734 Anträge, bei zugleich 2.332 Erledigungen (31,48%).
In der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug der Anteil an Erledigungen aus sonstigen Gründen 30,53%. (= 549 Anträge bei 1.798 Erledigungen/ gesamt)
Die überwiegenden Entscheidungen der Anträge resultieren in einer Ablehnung, ohne jedoch die Gründe hierzu zu erfassen.
Quantitativ variiert die Ablehnungsquote erledigter Anträge zwischen 38,57% (als niedrigsten Wert/ 2020) und 52,37% (Höchstwert/ 2012).
Konkret bedeutet dies für das Jahr 2020: 1.004 Ablehnungen bei 2.603 erledigten Anträgen (38,57%) und für das Jahr 2012: 1.061 Ablehnungen bei 2.026 Antragserledigungen (52,37%).
Zuletzt (2023) betrug die die Ablehnungsquote 47,16%. (848 Ablehnungen bei 1.798 Antragserledigungen). Damit wurde nahezu jeder zweite Antrag auf Opferentschädigung in Hessen abgelehnt.
Eine Ablehnung erfolgt, wenn eines der Kriterien, bestehend aus Tatnachweis, gesundheitlicher Schädigung oder Kausalität dessen, nicht anerkannt werden.
Lediglich zwischen 22,13% (niedrigster Wert/ 2019) und 42,54% (höchster Wert/ 2011) der erledigten Anträge resultierten zwischen 2008 und 2023 in einer Anerkennung (gesamt).
Dies entspricht im Jahr 2019: 516 Anerkennungen bei 2.332 erledigten Anträgen, sowie 661 Anerkennungen bei 1.554 erledigten Anträgen im Jahr 2011.
Innerhalb der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug die Anerkennungsquote (gesamt): 22,30% der erledigten Anträge.
Eine Anerkennung ist allerdings nicht gleichzusetzen mit dem Erhalt von Entschädigungsleistungen, da diese erst ab einem Grad der Schädigung (GdS) von mind. 30 (GdS 25 wird aufgerundet auf GdS 30), gewährleistet werden (sogenannte „Renten“). Sofern ein GdS von 30 nicht erreicht werden konnte, besteht lediglich die Möglichkeit des Erhalts von Heilbehandlungskosten, nicht jedoch Entschädigungsleistungen, welche an die Opfer direkt gezahlt werden. Bundeslandübergreifend ist eine Gewährleistung von „Opferrenten“ mit deutlichem Abstand unterhalb des Erhalts von Heilbehandlungskosten zu verzeichnen (s.h. unten).
4. Analyse der Anerkennungen 2008-2023
Die bereits gering vorliegenden Gesamtanerkennungen (Hellgrün dargestellt), umfasst die Summe von:
- Anerkennungen mit einem GdS (Grad der Schädigung) <25 (Heilbehandlungskosten), sowie
- Anerkennungen mit einem GdS >25 (Renten/ Erhalt von monatlichen Entschädigungsleistungen)

4.1. Entscheidungen bewilligter Renten (GdS >30), 2008-2023
Der Anteil von Entscheidungen, welche Renten (und somit den hierfür Mindest-GdS von 30) implizieren, betrug in Hessen innerhalb des Zeitraums von 2008-2023 zwischen 3,24% (minimalster Wert/ 2016) und 17,94% (maximalster Wert/ 2020).
Demnach wurden 2016 lediglich 79 Anträge, bei insgesamt 2.439 Antragserledigungen, im Jahre 2020, 467 Anträge bei 2.603 Erledigungen, mit einem Grad der Schädigung von mind. 30 bewilligt, sodass eine Auszahlung von Rentenleistungen an die Geschädigten erfolgte.
Im Jahr 2023 (der zuletzt erfassten Statistik), betrug das Verhältnis 5,45% (98 bewilligte Renten bei 1.798 Antragserledigungen).
Quelle: Statistiken des Weißen Rings https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung

4.2. Rentenbewilligungen im Vergleich zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). 2008-2023
Wenngleich der direkte Vergleich zu den in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Gewalttaten (Hellfeld) mitunter zur Kritik führt (s.h. oben), so ist dennoch hieraus ersichtlich, wie wenige Gewaltopfer schlussendlich monatliche Entschädigungsleistungen/ Renten erhalten.
Für Hessen betrifft dies 0,61% (2013/ 2016/ 2022) bis 3,53% (2020) im Vergleich zu den erfassten Gewalttaten des Hellfelds (PKS). Aufgrund des hohen Dunkelfeldes (insbesondere im Rahmen sexualisierter Gewalt, sexuellen Kindesmissbrauchs…), ist daher von einem deutlich niedrigeren Anteil auszugehen.
2013/ 2016/ 2022 wurden lediglich 77/ 79/ 89 Gewaltopfern „Opferentschädigungsrenten“ bewilligt bei 12.601/ 12.962/ 14.624 erfassten Gewalttaten (PKS),
2020 (= Maximalwert) waren dies 467 Anerkennungen von Renten bei 13.240 erfassten Gewalttaten.
Quelle: Statistiken des Weißen Rings: https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung

5. Inkorrekte Statistiken/ Hessen, 2009, 2014, 2016, 2017, 2019
Die Erledigungen (insgesamt) setzen sich aus der Summe folgender Werte zusammen:
- Erledigungen aus sonstigen Gründen
- Ablehnungen
- Anerkennungen
- Heilbehandlungskosten (GdS <25)
- Renten (GdS >25) -> zusammengesetzt aus: Renten für Beschädigte und Renten für Witwen, Waisen, Eltern
Laut der Statistik 2009 wurden in Hessen insgesamt 1.682 Erledigungen verzeichnet. Die Aufschlüsselung zeigt jedoch:
-
Erledigungen aus sonstigen Gründen: 174 Fälle (10,34 % der Erledigungen)
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Ablehnungen: 869 Fälle (51,66 % der Erledigungen)
-
Anerkennungen: 638 Fälle (37,93 % der Erledigungen)
Die Summe dieser Einzelwerte ergibt 1.681 Erledigungen, was um einen Fall weniger ist als die insgesamt angegebenen 1.682 Erledigungen. Diese Differenz deutet auf einen Fehler in der Berechnung oder der Datenaggregation hin.
Quelle: Statistik des Weißen Rings/ 2009: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatistik2009_0_0_0.pdf
In der OEG-Statistik 2014 für Hessen stimmen die Zahlen für die Anerkennungen und ihre Unterkategorien rechnerisch nicht korrekt überein:
Die Statistik weist für Hessen 755 Anerkennungen aus.
Davon entfallen:
626 auf Heilbehandlungskosten
127 auf Renten
Diese beiden Zahlen ergeben 753, nicht 755. Es fehlen also 2 Anerkennungen, die nicht klar einer der beiden Unterkategorien zugeordnet sind.
Nachdem jedoch die Untergliederung der Renten (in Renten für Beschädigte und Renten für Witwen, Waisen, Eltern) übereinstimmt, ist ein Fehler im Rahmen der Anzahl der Heilbehandlungskosten zu vermuten.
Quelle: Statistik des Weißen Rings/ 2014: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatisti2014_0_0_0.pdf
Laut offizieller Statistik wurden in Hessen 2.439 Erledigungen verzeichnet. Diese setzen sich zusammen aus Anerkennungen (639), Ablehnungen (1.194) und sonstigen Erledigungen (600). Die Summe dieser Werte ergibt jedoch nur 2.433 Fälle – es fehlen 6 Erledigungen, die nicht zugeordnet wurden.
Quelle: Statistik des Weißen Rings/ 2016: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatisti2014_0_0_0.pdf
In der OEG-Statistik 2017 für Hessen wurden insgesamt 2.150 Erledigungen verzeichnet. Diese setzen sich zusammen aus:
Erledigungen aus sonstigen Gründen: 612
Ablehnungen: 1.001
Anerkennungen: 528
Die Summe der Erledigungen ergibt:
612 + 1.001 + 528 = 2.141 Erledigungen.
Fehler: Die angegebene Gesamtzahl der Erledigungen (2.150) stimmt nicht mit der addierten Summe der Einzelkategorien (2.141) überein. -> Diskrepanz von 9
Quelle: Statistik des Weißen Rings/ 2017: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatistik2017_0_0.pdf
Daten aus der Statistik:
Heilbehandlungskosten: 398
Renten: 115
Addiert man diese beiden Zahlen, ergibt sich:
398 + 115 = 513
Die Gesamtzahl der Anerkennungen in der Statistik beträgt jedoch 516.
Fehler:
Es gibt eine Differenz von 3 Fällen (516 statt 513). Diese 3 Fälle sind nicht korrekt in die Unterkategorien Heilbehandlungskosten und Renten eingerechnet und führen zu einer inkonsistenten Zahl in der Gesamtübersicht.
Quelle: Statistik des Weißen Rings/ 2019: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/2019staatlopferentschaedigung15072020.pdf