Bremen
- Antragsstellungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) im Vergleich zu den in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Gewalttaten (Zeitraum: 2008-2023)
- Erledigungen gestellter Anträge (Zeitraum: 2008-2023)
- Entscheidungen erledigter Anträge (Zeitraum: 2008-2023)
- Analyse der Anerkennungen (Zeitraum: 2008-2023)
- Inkorrekte Statistiken/ Bremen (2011, 2012, 2014, 2015, 2016)
1. Gestellte Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ 2008-2023
Nachdem bislang keine Vergleichsanalyse aller existierenden Landesstatistiken zur Opferentschädigung stattgefunden hatte, soll im Folgenden hierauf, unter Bezugnahme der Daten Bremens, welche vonseiten des Weißen Rings jährlich erhoben und veröffentlicht wurden, eingegangen werden. Aktuell umfasst dies den Zeitraum von 2008 bis einschließlich 2023 (als zuletzt, im Februar 2025, erschienene Statistik ). Landesspezifische Daten zum SGB XIV (welches nachfolgend des vorherigen Opferentschädigungsgesetzes, am 01.01.2024 in Kraft trat), liegen bislang, aufgrund technischen Versagens der IT-Infrastruktur, nicht vor (Stand: April 2025), wodurch hierauf nicht eingegangen werden kann.
In der rechts aufgeführten Statistik sind die niedrigen Antragsstellungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ grau, im Vergleich zu den in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Gewalttaten/blau, abgebildet.
Daten/ Analyse:
In Bremen war die Antragsstellungsquote (OEG)/ im Vergleich zur PKS, (von 2008-2023), zwischen 3,80% (im Jahr 2023) und 14,62% (im Jahr 2010) zu verzeichnen.
Demnach stellten noch im Jahr 2010 bei 3.433 erfassten Gewalttaten (PKS), 502 Opfer in Bremen einen Antrag auf Opferentschädigung (14,62%), wohingegen 2023 ein Negativrekord, mit 185 gestellten Anträgen bei 4.874 erfassten Gewalttaten (3,80%), eintrat. Wie die Anträge schlussendlich entschieden wurden, ist unten ausgeführt.
Fazit: aufgrund der nicht erfassten hohen Dunkelziffer in der polizeilichen Kriminalstatistik, sowie der tatsächlichen Opferwerdungen, lässt sich feststellen, dass zuletzt/ 2023, <3,80% der Gewaltopfer einen Antrag auf Opferentschädigung stellten.

Die polizeiliche Kriminalstatistik/ PKS umfasst lediglich das Hellfeld von Straftaten und somit jene, welche angezeigt und schlussendlich vonseiten der Polizei an die Staatsanwaltschaft übermittelt wurden. Nicht sichtbar ist hierin jedoch u.a. das hohe Dunkelfeld von Sexualdelikten, sowie sexuellen Kindesmissbrauchs, sodass von einer weitaus höheren Kriminalitätsrate/ Opferwerdung ausgegangen werden kann und sich demnach das Verhältnis zueinander ändert. Ebenso stellt eine Strafanzeigenstellung keine Voraussetzung für die Antragsstellung/ Opferentschädigung dar (was bspw. häufiger im Falle von Sexualdelikten, Verjährung der Tat, bei ehemals betroffenen Kindern, Tod des Täters… auftritt). Gleichwohl ist der Vergleich zur PKS angezeigt, nachdem sowohl in der Bevölkerung, als auch unter Gewaltopfern unzureichende Kenntnis hinsichtlich der Existenz von Opferentschädigungsansprüchen besteht (weitere Gründe sind unterhalb der Grafik abgebildet), sodass bereits hierdurch zahlreiche, potenzielle Ansprüche verwehrt bleiben oder eine Antragsstellung erst nach Jahren/ Jahrzehnten erfolgt.
- kein vorhandenes Wissen über die Existenz des Opferentschädigungsgesetzes/ SGB XIV (Vgl. FORSA-Umfrage/ Weißer Ring, Repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Thema Soziales Entschädigungsrecht/BMAS)
- Überforderung bei der Antragsstellung (z.B. Retraumatisierung durch erforderliche Tatschilderung, Umfang einzureichender Unterlagen, Einleitung von Verfahren, wenn zuvor kein Strafverfahren erfolgte, Gefühle von Ohnmacht, Angst, Ungewissheit, Scham, Einnahme der Rolle eines Bittstellers, ggf. Befragung von Zeugen, Tätern, fehlende Unterstützung/ Begleitung, Aufgabe der Privatsphäre (sowohl den Zeitraum ab der/ den Tat/en, als auch zuvor/ danach betreffend), u.v.m.
- Abraten von Fachpersonen (aufgrund der diskriminierenden Verfahrensführung, welche neben sekundären Viktimisierungen, mitunter jahrzehntelange Klageverfahren zur Folge haben.)
2. Quantitative Antragserledigungen (2008-2023)
Von den in (Abb.1) bereits erfassten Antragsstellungen, wird nun die Erledigung dieser in Abb. 2 dargestellt.
Nachdem die Dauer der Erledigung (d.h. bis zur Ausstellung des Erstbescheids oder sogenannter „Erledigung aus sonstigen Gründen“, s.h. unten), variiert und mitunter mehrere Jahre betragen kann, finden Abweichungen (bezogen auf die jeweiligen Jahresstatistiken) statt. Hierdurch ist u.a. erklärbar, weswegen eine höhere Anzahl von Erledigungen, im Vergleich zu den im selben Jahr erfolgten Antragsstellungen auftritt, da diese ebenso die Bearbeitung von Anträgen vorheriger Jahre umfasst.
Quelle: https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung
Verfahrenslänge bis zum Erhalt des Erstbescheids:
In der retrospektiv, durch das Universitätsklinikum Ulm, ausgewerteten Online-Umfrage „Dein Weg durchs OEG“ (2023), wurden die Daten von 253 Gewaltopfern hinsichtlich der Verfahrensdauer bis zum Erhalt des Erstbescheids analysiert. Diese betrug:
- bei 30% der Befragten: bis zu einem Jahr
- bei 34% der Befragten: bis zu zwei Jahren
- bei 20% der Befragten: zwei bis drei Jahre
- bei 16% der Befragten: mehr als drei Jahre

3. Entscheidungen erledigter Anträge (2008-2023)

Die entschiedenen Anträge unterteilen sich in drei Entscheidungsformen:
Beispiele hierfür sind u.a. die Rücknahme des Antrags, Übermittlung in ein anderes Bundesland (Wegzug), Tod. Nähere quantitative und qualitative Daten hierzu, sowie eine Erfassung, ob es sich um eine natürliche oder nicht natürliche Todesursache (wie etwa Suizid) handelt, werden allerdings nicht erfasst.
In Bremen variierte die Erledigung aus sonstigen Gründen zwischen 6,03% (als niedrigsten Wert im Jahr 2012) und 41,87% (Höchstwert/ 2020).
Bezugnehmend darauf wurden im Jahr 2012, bei 282 Antragserledigungen, 17 Anträge aus sonstigen Gründen für erledigt erklärt (6,03%).
Für das Jahr 2020 betraf dies 103 Anträge, bei zugleich 246 Erledigungen (41,87%).
In der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug der Anteil an Erledigungen aus sonstigen Gründen 20,37%. (= 33 Anträge bei 162 Erledigungen/ gesamt)
Die überwiegenden Entscheidungen der Anträge resultieren in einer Ablehnung, ohne jedoch die Gründe hierzu zu erfassen.
Quantitativ variiert die Ablehnungsquote erledigter Anträge zwischen 30,46% (als niedrigsten Wert/ 2014) und 67,46% (Höchstwert/ 2019).
Konkret bedeutet dies für das Jahr 2014: 53 Ablehnungen bei 174 erledigten Anträgen (30,46%) und für das Jahr 2019: 141 Ablehnungen bei 209 Antragserledigungen (67,46%).
In der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug die Ablehnungsquote 53,70% (87 Ablehnungen bei 162 Antragserledigungen). Damit wurde mehr als die Hälfte der Anträge auf Opferentschädigung in Bremen abgelehnt.
Eine Ablehnung erfolgt, wenn eines der Kriterien, bestehend aus Tatnachweis, gesundheitlicher Schädigung oder Kausalität dessen, nicht anerkannt werden.
Lediglich zwischen 10,57% (niedrigster Wert/ 2020) und 46,19% (höchster Wert/ 2013) der erledigten Anträge resultierten zwischen 2008 und 2023 in einer Anerkennung (gesamt).
Dies entspricht im Jahr 2020: 26 Anerkennungen bei 246 erledigten Anträgen, sowie 103 Anerkennungen bei 223 erledigten Anträgen im Jahr 2013.
Innerhalb der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug die Anerkennungsquote (gesamt): 25,93% der erledigten Anträge.
Eine Anerkennung ist allerdings nicht gleichzusetzen mit dem Erhalt von Entschädigungsleistungen, da diese erst ab einem Grad der Schädigung (GdS) von mind. 30 (GdS 25 wird aufgerundet auf GdS 30), gewährleistet werden (sogenannte „Renten“). Sofern ein GdS von 30 nicht erreicht werden konnte, besteht lediglich die Möglichkeit des Erhalts von Heilbehandlungskosten, nicht jedoch Entschädigungsleistungen, welche an die Opfer direkt gezahlt werden. Bundeslandübergreifend ist eine Gewährleistung von „Opferrenten“ mit deutlichem Abstand unterhalb des Erhalts von Heilbehandlungskosten zu verzeichnen (s.h. unten).
4. Analyse der Anerkennungen 2008-2023
Die bereits gering vorliegenden Gesamtanerkennungen (Hellgrün dargestellt), umfasst die Summe von:
- Anerkennungen mit einem GdS (Grad der Schädigung) <25 (Heilbehandlungskosten), sowie
- Anerkennungen mit einem GdS >25 (Renten/ Erhalt von monatlichen Entschädigungsleistungen)

4.1. Entscheidungen bewilligter Renten (GdS >30), 2008-2023
Der Anteil von Entscheidungen, welche Renten (und somit den hierfür Mindest-GdS von 30) implizieren, betrug in Bremen innerhalb des Zeitraums von 2008-2023 zwischen 3,02% (minimalster Wert/ 2011) und 11,49% (maximalster Wert/ 2014).
Demnach wurden 2011 lediglich 15 Anträge, bei insgesamt 497 Antragserledigungen, im Jahre 2014, 20 Anträge bei 174 Erledigungen, mit einem Grad der Schädigung von mind. 30 bewilligt, sodass eine Auszahlung von Rentenleistungen an die Geschädigten erfolgte.
Im Jahr 2023 (der zuletzt erfassten Statistik), betrug das Verhältnis 4,32% (7 bewilligte Renten bei 162 Antragserledigungen).
Quelle: Statistiken des Weißen Rings https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung

4.2. Rentenbewilligungen im Vergleich zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). 2008-2023
Wenngleich der direkte Vergleich zu den in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Gewalttaten (Hellfeld) mitunter zur Kritik führt (s.h. oben), so ist dennoch hieraus ersichtlich, wie wenige Gewaltopfer schlussendlich monatliche Entschädigungsleistungen/ Renten erhalten.
Für Bremen betrifft dies 0,01% (2010) bis 0,67% (2021) im Vergleich zu den erfassten Gewalttaten des Hellfelds (PKS). Aufgrund des hohen Dunkelfeldes (insbesondere im Rahmen sexualisierter Gewalt, sexuellen Kindesmissbrauchs…), ist daher von einem deutlich niedrigeren Anteil auszugehen.
2010 wurden lediglich 12 Gewaltopfern „Opferentschädigungsrenten“ bewilligt bei 3.433 erfassten Gewalttaten (PKS), 2021 waren dies 21 Anerkennungen von Renten bei 3.154 erfassten Gewalttaten.
Quelle: Statistiken des Weißen Rings: https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung

5. Inkorrekte Statistiken/ Bremen: 2011, 2012, 2014, 2015, 2016
Die Erledigungen (insgesamt) setzen sich aus der Summe folgender Werte zusammen:
- Erledigungen aus sonstigen Gründen
- Ablehnungen
- Anerkennungen
- Heilbehandlungskosten (GdS <25)
- Renten (GdS >25) -> zusammengesetzt aus: Renten für Beschädigte und Renten für Witwen, Waisen, Eltern
1. Fehlerquelle:
In der Statistik angegeben:
Erledigungen insgesamt: 497, Ablehnungen: 316, Anerkennungen: 125, Erledigungen aus sonstigen Gründen: 58
Erwartete Summe:
316 (Ablehnungen) + 125 (Anerkennungen) + 58 (Erledigungen aus sonstigen Gründen) = 499 (Erledigungen insgesamt)
→ Das sind 2 mehr als in den Erledigungen insgesamt (497) angegeben. Demnach liegt innerhalb dieser Werte (entweder Erledigungen insg., Ablehnungen, Anerkennungen oder Erledigungen aus sonst. Gründen) ein Fehler vor. Nachdem zusätzlich innerhalb der Zusammensetzung der Anerkennungen eine weitere Fehlerquelle vorliegt, ist hier die Wahrscheinlichkeit eines falschen Wertes hoch.
2. Fehlerquelle/ Anerkennungen:
In der Statistik angegeben:
Anerkennungen: 125, Heilbehandlungskosten: 106, Renten: 15 (Zusammengesetzt aus 11 Renten für Beschädigte und 4 Renten für Witwen, Waisen, Eltern)
Erwartete Summe:
106 (Heilbehandlungskosten) + 15 (Renten) = 121 (Anerkennungen)
→ dies entspricht einer Differenz von 4 zu der in der Statistik angegebenen Summer der Anerkennungen (125). Nachdem jedoch insgesamt zwei verschiedene Fehlerquellen vorliegen, lässt sich nicht feststellen, welche Angabe(n) im Konkreten inkorrekt ist/ sind.
Quelle: Statistik des Weißen Rings, 2011: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oeg2011_0_0_0.pdf
Erledigungen insgesamt werden mit 282 angegeben.
Die Summe der Teilwerte:
Anerkennungen: 100
Ablehnungen: 166
Sonstige Erledigungen: 17
ergibt zusammen 283, also 1 Fall mehr als angegeben.
Innerhalb einer dieser Werte liegt demnach ein Fehler mit einer marginalen Differenz von 1 vor.
Quelle: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatistik2012_0_0_0.pdf
In der OEG-Statistik 2014 für Bremen treten folgende Unstimmigkeiten auf:
Erledigungen insgesamt:
Angegeben: 174
Summe der Teilwerte:
Erledigungen aus sonstigen Gründen: 57
Ablehnungen: 53
Anerkennungen: 53
Gesamt: 163
Diskrepanz: Die Summe der Teilwerte (163) ist um 11 Fälle geringer als die angegebenen Erledigungen insgesamt (174).
Anerkennungen insgesamt: 53
Davon:
Heilbehandlungskosten: 37
Renten: 20
→ Summe der Unterkategorien: 57, das sind 4 mehr als die angegebenen 53 Anerkennungen insgesamt. Demnach liegt auch innerhalb dieser Werte ein Fehler vor.
Quelle: Statistik des Weißen Rings-2014: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatisti2014_0_0_0.pdf
In der OEG-Statistik 2015 für Bremen treten folgende Unstimmigkeiten auf:
Erledigungen insgesamt:
Angegeben: 188
Summe der Teilwerte:
Erledigungen aus sonstigen Gründen: 47
Ablehnungen: 88
Anerkennungen: 56
Gesamt: 191
Diskrepanz: Die Summe der Teilwerte (191) ist um 3 Fälle höher als die angegebenen Erledigungen insgesamt (188). Somit liegt innerhalb dieser Werte ein Fehler mit einer Gesamtdiskrepanz von 3 vor, ohne diesen hier konkret angegeben zu können.
Angegeben: 255 Erledigungen insgesamt
Summe der Teilwerte:
Erledigungen aus sonstigen Gründen: 41
Ablehnungen: 135
Anerkennungen: 74
Gesamt: 250