Schleswig-Holstein
- Antragsstellungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) im Vergleich zu den in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Gewalttaten (Zeitraum: 2008-2023)
- Erledigungen gestellter Anträge (Zeitraum: 2008-2023)
- Entscheidungen erledigter Anträge (Zeitraum: 2008-2023)
- Analyse der Anerkennungen (Zeitraum: 2008-2023)
- Inkorrekte Statistiken/ Schleswig-Holstein (2015, 2017, 2021)
1. Gestellte Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ 2008-2023
Nachdem bislang keine Vergleichsanalyse aller existierenden Landesstatistiken zur Opferentschädigung stattgefunden hatte, soll im Folgenden hierauf, unter Bezugnahme der Daten Schleswig-Holsteins, welche vonseiten des Weißen Rings jährlich erhoben und veröffentlicht wurden, eingegangen werden. Aktuell umfasst dies den Zeitraum von 2008 bis einschließlich 2023 (als zuletzt, im Februar 2025, erschienene Statistik ). Landesspezifische Daten zum SGB XIV (welches nachfolgend des vorherigen Opferentschädigungsgesetzes, am 01.01.2024 in Kraft trat), liegen bislang, aufgrund technischen Versagens der IT-Infrastruktur, nicht vor (Stand: April 2025), wodurch hierauf nicht eingegangen werden kann.
In der rechts aufgeführten Statistik sind die niedrigen Antragsstellungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)/ grau, im Vergleich zu den in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Gewalttaten/blau, abgebildet.
Daten/ Analyse:
In Schleswig-Holstein war die Antragsstellungsquote (OEG)/ im Vergleich zur PKS, (von 2008-2023), zwischen 7,97% (im Jahr 2017) und 10,87% (im Jahr 2020) zu verzeichnen.
Demnach stellten noch im Jahr 2020 bei 5.650 erfassten Gewalttaten (PKS), 614 Opfer in Schleswig-Holstein einen Antrag auf Opferentschädigung (10,87%), wohingegen 2017 ein Negativrekord, mit 473 gestellten Anträgen bei 5.936 erfassten Gewalttaten (7,97%), eintrat. Wie die Anträge schlussendlich entschieden wurden, ist unten ausgeführt.
In der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug die Antragsstellungsquote 10,51% (681 Antragsstellungen bei 6.481 erfassten Gewalttaten).
Fazit: aufgrund der nicht erfassten hohen Dunkelziffer in der polizeilichen Kriminalstatistik, sowie der tatsächlichen Opferwerdungen, lässt sich feststellen, dass zuletzt/ 2023, <10,51% der Gewaltopfer einen Antrag auf Opferentschädigung stellten.

Die polizeiliche Kriminalstatistik/ PKS umfasst lediglich das Hellfeld von Straftaten und somit jene, welche angezeigt und schlussendlich vonseiten der Polizei an die Staatsanwaltschaft übermittelt wurden. Nicht sichtbar ist hierin jedoch u.a. das hohe Dunkelfeld von Sexualdelikten, sowie sexuellen Kindesmissbrauchs, sodass von einer weitaus höheren Kriminalitätsrate/ Opferwerdung ausgegangen werden kann und sich demnach das Verhältnis zueinander ändert. Ebenso stellt eine Strafanzeigenstellung keine Voraussetzung für die Antragsstellung/ Opferentschädigung dar (was bspw. häufiger im Falle von Sexualdelikten, Verjährung der Tat, bei ehemals betroffenen Kindern, Tod des Täters… auftritt). Gleichwohl ist der Vergleich zur PKS angezeigt, nachdem sowohl in der Bevölkerung, als auch unter Gewaltopfern unzureichende Kenntnis hinsichtlich der Existenz von Opferentschädigungsansprüchen besteht (weitere Gründe sind unterhalb der Grafik abgebildet), sodass bereits hierdurch zahlreiche, potenzielle Ansprüche verwehrt bleiben oder eine Antragsstellung erst nach Jahren/ Jahrzehnten erfolgt.
- kein vorhandenes Wissen über die Existenz des Opferentschädigungsgesetzes/ SGB XIV (Vgl. FORSA-Umfrage/ Weißer Ring, Repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Thema Soziales Entschädigungsrecht/BMAS)
- Überforderung bei der Antragsstellung (z.B. Retraumatisierung durch erforderliche Tatschilderung, Umfang einzureichender Unterlagen, Einleitung von Verfahren, wenn zuvor kein Strafverfahren erfolgte, Gefühle von Ohnmacht, Angst, Ungewissheit, Scham, Einnahme der Rolle eines Bittstellers, ggf. Befragung von Zeugen, Tätern, fehlende Unterstützung/ Begleitung, Aufgabe der Privatsphäre (sowohl den Zeitraum ab der/ den Tat/en, als auch zuvor/ danach betreffend), u.v.m.
- Abraten von Fachpersonen (aufgrund der diskriminierenden Verfahrensführung, welche neben sekundären Viktimisierungen, mitunter jahrzehntelange Klageverfahren zur Folge haben.)
2. Quantitative Antragserledigungen (2008-2023)
Von den in (Abb.1) bereits erfassten Antragsstellungen, wird nun die Erledigung dieser in Abb. 2 dargestellt.
Nachdem die Dauer der Erledigung (d.h. bis zur Ausstellung des Erstbescheids oder sogenannter „Erledigung aus sonstigen Gründen“, s.h. unten), variiert und mitunter mehrere Jahre betragen kann, finden Abweichungen (bezogen auf die jeweiligen Jahresstatistiken) statt. Hierdurch ist u.a. erklärbar, weswegen eine höhere Anzahl von Erledigungen, im Vergleich zu den im selben Jahr erfolgten Antragsstellungen auftritt, da diese ebenso die Bearbeitung von Anträgen vorheriger Jahre umfasst.
Quelle: https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung
Verfahrenslänge bis zum Erhalt des Erstbescheids:
In der retrospektiv, durch das Universitätsklinikum Ulm, ausgewerteten Online-Umfrage „Dein Weg durchs OEG“ (2023), wurden die Daten von 253 Gewaltopfern hinsichtlich der Verfahrensdauer bis zum Erhalt des Erstbescheids analysiert. Diese betrug:
- bei 30% der Befragten: bis zu einem Jahr
- bei 34% der Befragten: bis zu zwei Jahren
- bei 20% der Befragten: zwei bis drei Jahre
- bei 16% der Befragten: mehr als drei Jahre

3. Entscheidungen erledigter Anträge (2008-2023)

Die entschiedenen Anträge unterteilen sich in drei Entscheidungsformen:
Beispiele hierfür sind u.a. die Rücknahme des Antrags, Übermittlung in ein anderes Bundesland (Wegzug), Tod. Nähere quantitative und qualitative Daten hierzu, sowie eine Erfassung, ob es sich um eine natürliche oder nicht natürliche Todesursache (wie etwa Suizid) handelt, werden allerdings nicht erfasst.
In Schleswig-Holstein variierte die Erledigung aus sonstigen Gründen zwischen 12,27% (als niedrigsten Wert im Jahr 2008) und 34,05% (Höchstwert/ 2019).
Bezugnehmend darauf wurden im Jahr 2008, bei 693 Antragserledigungen, 85 aus sonstigen Gründen für erledigt erklärt (12,27%).
Für das Jahr 2019 betraf dies 95 Anträge, bei zugleich 279 Erledigungen (34,05%).
In der zuletzt erfassten Statistik (2023) betrug der Anteil an Erledigungen aus sonstigen Gründen 21,53%. (= 124 Anträge bei 576 Erledigungen/ gesamt)
Die überwiegenden Entscheidungen der Anträge resultieren in einer Ablehnung, ohne jedoch die Gründe hierzu zu erfassen.
Quantitativ variiert die Ablehnungsquote erledigter Anträge zwischen 37,76% (als niedrigsten Wert/ 2010) und 66,15% (Höchstwert/ 2023).
Konkret bedeutet dies für das Jahr 2010: 270 Ablehnungen bei 715 erledigten Anträgen (37,76%) und für das Jahr 2023: 381 Ablehnungen bei 576 Antragserledigungen (66,15%). Damit wurden über die Hälfte der Anträge auf Opferentschädigung in Schleswig-Holstein abgelehnt.
Eine Ablehnung erfolgt, wenn eines der Kriterien, bestehend aus Tatnachweis, gesundheitlicher Schädigung oder Kausalität dessen, nicht anerkannt werden.
Lediglich zwischen 12,33% (niedrigster Wert/ 2023) und 42,57% (höchster Wert/ 2008) der erledigten Anträge resultierten zwischen 2008 und 2023 in einer Anerkennung (gesamt).
Dies entspricht im Jahr 2023: 71 Anerkennungen bei 576 erledigten Anträgen, sowie 295 Anerkennungen bei 693 erledigten Anträgen im Jahr 2008.
Eine Anerkennung ist allerdings nicht gleichzusetzen mit dem Erhalt von Entschädigungsleistungen, da diese erst ab einem Grad der Schädigung (GdS) von mind. 30 (GdS 25 wird aufgerundet auf GdS 30), gewährleistet werden (sogenannte „Renten“). Sofern ein GdS von 30 nicht erreicht werden konnte, besteht lediglich die Möglichkeit des Erhalts von Heilbehandlungskosten, nicht jedoch Entschädigungsleistungen, welche an die Opfer direkt gezahlt werden. Bundeslandübergreifend ist eine Gewährleistung von „Opferrenten“ mit deutlichem Abstand unterhalb des Erhalts von Heilbehandlungskosten zu verzeichnen (s.h. unten).
4. Analyse der Anerkennungen 2008-2023
Die bereits gering vorliegenden Gesamtanerkennungen (Hellgrün dargestellt), umfasst die Summe von:
- Anerkennungen mit einem GdS (Grad der Schädigung) <25 (Heilbehandlungskosten), sowie
- Anerkennungen mit einem GdS >25 (Renten/ Erhalt von monatlichen Entschädigungsleistungen)

4.1. Entscheidungen bewilligter Renten (GdS >30), 2008-2023
Der Anteil von Entscheidungen, welche Renten (und somit den hierfür Mindest-GdS von 30) implizieren, betrug in Schleswig-Holstein innerhalb des Zeitraums von 2008-2023 zwischen 4,31% (minimalster Wert/ 2009) und 13,98% (maximalster Wert/ 2019).
Demnach wurden 2009 lediglich 28 Anträge, bei insgesamt 650 Antragserledigungen, im Jahre 2019, 39 Anträge bei 279 Erledigungen, mit einem Grad der Schädigung von mind. 30 bewilligt, sodass eine Auszahlung von Rentenleistungen an die Geschädigten erfolgte.
Im Jahr 2023 (der zuletzt erfassten Statistik), betrug das Verhältnis 6,25% (36 bewilligte Renten bei 576 Antragserledigungen).
Quelle: Statistiken des Weißen Rings https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung

4.2. Rentenbewilligungen im Vergleich zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). 2008-2023
Wenngleich der direkte Vergleich zu den in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Gewalttaten (Hellfeld) mitunter zur Kritik führt (s.h. oben), so ist dennoch hieraus ersichtlich, wie wenige Gewaltopfer schlussendlich monatliche Entschädigungsleistungen/ Renten erhalten.
Für Schleswig-Holstein betrifft dies 0,36% (2009) bis 0,96% (2021) im Vergleich zu den erfassten Gewalttaten des Hellfelds (PKS). Aufgrund des hohen Dunkelfeldes (insbesondere im Rahmen sexualisierter Gewalt, sexuellen Kindesmissbrauchs…), ist daher von einem deutlich niedrigeren Anteil auszugehen.
2009 wurden lediglich 28 Gewaltopfern „Opferentschädigungsrenten“ bewilligt bei 7.787 erfassten Gewalttaten (PKS),
2021 (= Maximalwert) waren dies 49 Anerkennungen von Renten bei 5.118 erfassten Gewalttaten.
Quelle: Statistiken des Weißen Rings: https://weisser-ring.de/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung

5. Inkorrekte Statistiken/ Schleswig-Holstein (2015, 2017, 2021)
Die Erledigungen (insgesamt) setzen sich aus der Summe folgender Werte zusammen:
- Erledigungen aus sonstigen Gründen
- Ablehnungen
- Anerkennungen
- Heilbehandlungskosten (GdS <25)
- Renten (GdS >25) -> zusammengesetzt aus: Renten für Beschädigte und Renten für Witwen, Waisen, Eltern
In der OEG-Statistik 2015 des Weißen Rings wurden für Schleswig-Holstein insgesamt 114 Anerkennungen im Rahmen der Opferentschädigung ausgewiesen. Diese Zahl setzt sich laut Statistik wie folgt zusammen:
Anerkennungen für Heilbehandlungskosten: 78
Rentenanerkennungen: 32
Diese beiden Werte ergeben zusammen jedoch nur 110, nicht 114. Es fehlen also 4 Anerkennungen, die nicht korrekt zugeordnet oder möglicherweise fehlerhaft erfasst wurden.
Quelle: Statistik des Weißen Rings/ 2015: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatistik2015_0_0.pdf
In der OEG-Statistik 2017 des Weißen Rings wurden für Schleswig-Holstein insgesamt 129 Anerkennungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ausgewiesen. Doch bei genauerer Betrachtung ergeben sich zwei klare Rechenfehler:
1. Fehler bei den Anerkennungen
Gesamtzahl der Anerkennungen: 129
Davon:
Heilbehandlungskosten: 94
Renten: 33
→ Summe: 127
→ Fehlende Anerkennungen: 2
Die Unterkategorien ergeben also nicht die angegebene Gesamtsumme. Zwei Anerkennungen bleiben unklar oder sind falsch zugeordnet.
2. Fehler bei den Renten
Renten gesamt: 33
Davon:
Renten für Beschädigte: 32
Renten für Witwen, Waisen, Eltern: 3
→ Summe: 35
→ Überschuss: 2 Renten zu viel
Auch innerhalb der Rentenaufteilung stimmt die rechnerische Zuordnung nicht. Die Summe der Unterkategorien übersteigt die Gesamtzahl um zwei Fälle.
Quelle: Statistik des Weißen Rings/ 2017: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatistik2017_0_0.pdf
Innerhalb der Statistik des Weißen Rings (2021) treten zwar keine Fehler auf, doch widerlegt die Stellungnahme des Sozialministeriums (resultierend der Petitionen), die Angaben dieser.
Laut dem Sozialministerium seien 2021 insgesamt 569 Anträge nach dem OEG gestellt worden (anstatt der in der Statistik angegebenen 548 Fälle). Dies stellt daher eine Diskrepanz dar.
Statistik des Weißen Rings 2021: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/oegstatistik202103983262_1.pdf